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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Ertl, Thomas: Pragmatische Visionäre? Die mendikantische Sicht der Welt im 13. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0263
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262 | Thomas Ertl
franziskanischer Aktivität. ⁴³ An keiner Stelle äußert er eine generelle Kritik an den
Lebensformen seiner Zeit – vielmehr scheint er zunehmend die Freuden eines gehobenen
urbanen Lebensstils geschätzt zu haben. ⁴⁴ Der Sog der Kommerzialisierung,
der nicht nur über die Marktplätze Italiens brauste, war ihm kein Stachel im Fleisch,
sondern Normalität, ja die materielle Grundlage, auf der die frommen Christen ein
Leben nach den Grundsätzen der curialitas verwirklichen konnten. ⁴⁵ Und wieder
könnte man hinzufügen: Um in der Stadt des 13. Jahrhunderts wirtschaftlich erfolgreich
und gottesfürchtig zugleich leben zu können, war nicht eine Umwälzung
der Gesellschaftsordnung nötig, sondern lediglich die ungehinderte Tätigkeit jener
Ordensgemeinschaft, der sich Salimbene als junger Mann angeschlossen hat.
Mendikantische Weltsicht
Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus Salimbenes Blicke auf die Welt ziehen?
Keine, könnte man sagen mit Verweis auf die oben gemachte Behauptung, dass es
ein kohärentes franziskanisches oder mendikantisches Weltbild nicht gegeben habe.
Ohne von dieser These gänzlich abrücken zu wollen, geben Salimbenes Vorstellungen
doch einige unter Mendikanten weit verbreitete Sichtweisen exemplarisch
wieder – nicht ohne Gegenstimmen und konträre Positionen allerdings. Ich will
mich auf einige Punkte beschränken, nämlich die Selbstwahrnehmung des Ordens,
die Deutung der Gesellschaft des 13. Jahrhunderts sowie die Einwirkung der Mendikanten
auf die gesellschaftlichen Verhältnisse.
Zum ersten Punkt: Die Bettelmönche waren keine altruistische Friedensbewegung,
sondern eine intellektuelle Elitetruppe, die zunehmend von gebildeten Klerikern
getragen wurde und elaborierte Vorstellungen sittlichen Lebens und gesellschaftlicher
Ordnung entwickelte. ⁴⁶ Salimbene betrachtete sich als Mitglied dieser
Gemeinschaft, die nach einer im Orden verbreiteten Anschauung durch göttliche
Beauftragung und intellektuelle Bildung über dem Rest der Christenheit stand und
Consiglia de Matteis, La coscienza comunale nella Cronica di Salimbene de Adam, in: La presenza
francescana tra medioevo e modernità, hg. von Mario Chessa/Marco Poli, Florenz 1996, S. 167–176.
43 Felice Accrocca, Guerra e pace nelle città italiane del Duecento. Il ruolo dei Frati Minori secondo la
testimonianza di Salimbene da Parma, in: I Francescani e la politica. Atti del Convegno internazionale di
studio Palermo 3 –7 dicembre 2002, 2 Bde., hg. von Alessandro Musco (Franciscana 13), Palermo 2007,
Bd. 1, S. 1–13.
44 Williams Lewin, Salimbene (wie Anm. 13), S. 90.
45 Zu Salimbenes positiver Sicht laikaler Frömmigkeit vgl. Mariano d’Alatri, La religiosità popolare nella
cronaca di fra Salimbene, in: Collectanea Franciscana 60, 1990, S. 175 –190; Gatto, Il sentimento (wie
Anm. 42), S. 155 f.
46 Thomas Ertl, Selbstdeutung und Weltordnung im frühen deutschen Franziskanertum (Arbeiten zur
Kirchengeschichte 96), Berlin/New York 2006.
 
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