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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Melville, Gert: Innovation aus Verantwortung: Kloster und Welt im Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0344
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Innovation aus Verantwortung | 343
des Mönchtums« und vom »methodischen Betrieb« sprach, dessen »Gegenstand«
der »religiöse Eifer« des Asketen sei. ⁷ Gemeint war damit, die Ratio des sozialen
Handelns darin begründet zu sehen, dass durch differenzierendes Erfassen der
Handlungsbedingungen, -modi und -zwecke die planvolle Gestaltung einer Gemeinschaft
möglich wird. Klöster haben ab dem 11. Jahrhundert genau eine solche
methodisch umgesetzte Rationalität pragmatisch entwickelt und damit ein institutionelles
Maß gegen die Maßlosigkeit religiösen Eifers gesetzt – also versucht, die
Balance wieder ins Lot zu bringen.
Klöster waren folglich die ersten Gemeinschaften des Mittelalters, die prospektiv
Organisationsformen schufen, welche mit dem Anspruch auftreten konnten, in
künftigen Entscheidungslagen sowohl zweckorientiertes, als auch gleichförmiges
Handeln zu ermöglichen und durchzusetzen. In einer Eingangspassage der zisterziensischen
Carta caritatis prior vom Beginn des 12. Jahrhunderts – des wohl ersten
mittelalterlichen Textes, der den Namen »Verfassung« verdient – wurde dieses
Prinzip programmatisch formuliert (und dann auch realisiert): »In diesem Dekret
bestimmten die genannten Brüder und legten für ihre Nachfahren fest, durch welchen
Vertrag, auf welche Art und Weise, ja vielmehr mit welcher Liebe ihre Mönche,
dem Leibe nach auf Abteien in verschiedenen Weltgegenden verstreut, dem
Geiste nach unzertrennbar miteinander vereint bleiben sollten.« ⁸ Die Zisterzienser
wurden bekanntlich zum Vorbild für die anderen Klosterverbände; ihr Modell – der
Orden als neue Organisationsform des regularen Lebens – setzte sich allgemein
durch. Sie schufen das Generalkapitel ebenso als eine symbolische Einrichtung, die
den Gesamtorden repräsentierte, wie als Organ der Gesetzgebung und der obersten
Kontrolle. Mit ihm erreichten sie die Perfektionierung jeglicher prospektiven
Schöpfung: die Instanz der steten Korrektur, mit der der Erhalt des Ursprünglichen
nur zu erreichen war: »Dort sollen sie [sc. die auf dem Generalkapitel versammelten
Äbte] […] Anordnungen treffen, wenn hinsichtlich der Beobachtung der heiligen
Regel oder der Ordenssatzungen etwas zu verbessern oder zu fördern ist, sowie den
Frieden und die gegenseitige Liebe neu beleben.« ⁹
Die Ratio der zu perfektionierenden Organisation gewährleistete aber gleichermaßen
die bestmögliche Entfaltung von individuellen Frömmigkeitspraktiken im
7 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. revidierte Ausgabe,
besorgt von Johannes Winckelmann, Studienausgabe, Tübingen 1980, S. 696.
8 Chrysogonus Waddell, Narrative and legislative texts from early Cîteaux. Latin text in dual edition with
English translation and notes, Cîteaux 1999, S. 274; Übersetzung nach Einmütig in der Liebe. Die frühesten
Quellentexte von Cîteaux. Antiquissimi textus Cistercienses. lateinisch/deutsch, hg. von Hildegard Brem/
Alberich Martin Altermatt (Quellen und Studien zur Zisterzienserliteratur 1), Langwarden 1998, S. 99.
9 Waddell, Narrative and legislative texts (wie Anm. 8), S. 278 bzw. in Übersetzung: Einmütig in der Liebe
(wie Anm. 8), S. 105.
 
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