Metadaten

Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

DOI Artikel:
Melville, Gert: Innovation aus Verantwortung: Kloster und Welt im Mittelalter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0345
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
344 | Gert Melville
Rahmen sowohl der gemeinschaftlichen Liturgie als auch der separierten Kontemplation.
So charakterisierte z. B. Wilhelm von Saint-Thierry die für ein eremitisches
Leben im Kloster bereitgestellte Zelle als einen abgeschlossenen Ort, der für den,
der voll der Frömmigkeit sei, keinen Kerker bedeute, sondern bezeichnenderweise
»eine Wohnung des Friedens« (domicilium pacis), deren Tür nicht etwas verstecke,
sondern Zurückgezogenheit von den übrigen Teilen des Klosters ermögliche.
In diesem Ort sei der Mönch »völlig von der Welt ausgeschlossen« und zugleich
»mit Gott eingeschlossen«. ¹⁰ Und der Cluniazenser Petrus Venerabilis – immerhin
Haupt des klösterlichen Verbands, die vielen als Prototyp des überholten Mönchtums
gegolten hatte – äußerte sich über das Suchen von innerer Einsamkeit mitten
in der Gemeinschaft auf analog affirmierende Weise: »Und wie in der Abgeschlossenheit
der Berge, so lasst uns [im Kloster] für uns selbst versteckte Plätze bauen
für die Einsamkeiten unserer Herzen, wo allein die wahre Einsiedelei durch die
gefunden wird, die aufrichtig sich der Weltlichkeit versagen, wo kein Außen erlaubt
ist, wo der Sturm und Lärm der weltlichen Tumulte sich beruhigt haben. […] Lasst
uns immer wieder in diese Einsamkeit gehen, während wir noch […] gestellt sind
mitten in die Menge, und lasst uns in uns selbst finden, was wir suchen bis zu den
äußersten Grenzen der Welt.« ¹¹
Für die Gefahr, die in einem dann unter Umständen ungebändigten Rückzug auf
sich selbst lag, hatte man einen Namen: singularitas. Bernhard von Clairvaux hatte
in einer Parabole eindrücklich geschildert, wie ein Mönch aus vermeintlicher Stärke
heraus einen alleinigen Angriff auf Nebukadnezars Heer wagte, an dieser singularitas,
wie Bernhard es bezeichnete, scheiterte und dann aber Rettung erfuhr durch
das Instrumentarium der Gemeinschaft. Deren Führung nämlich zeigte sich sofort
fürsorglich gegenüber dem Gefallenen, führte ihn in fünf allegorische Heimstätten
(mansiones), wo ihm jeweils Furcht eingejagt, er unter Gehorsam gezwungen, dem
Rat der anderen geöffnet und schließlich durch Vermittlung von sozialen Tugenden
wieder zur inneren Einsicht in die klösterlichen Werte gebracht wurde. ¹²
Wir vermögen nun wesentliche Elemente jener Struktur, die zu einem innovativen
Potential geführt hatten, etwas genauer zu erkennen:
Der hier vom Klosterleben geforderte Umgang mit der Unverfügbarkeit Gottes
fußte auf einer zutiefst seelischen Verinnerlichung der Absicht, Gott sich verfügbar
zu machen. Er war folglich bestimmt von gänzlicher Hingabe; er war im letzten
10 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre aux frères du Mont-Dieu (Lettre d’or), hg. von Jean Déchanet
(Sources chrétiennes 223/Série des textes monastiques d’Occident 45), Paris 1975, S. 168.
11 Petrus Venerabilis, Ad Petrum Pictavensem, in: The Letters of Peter the Venerable, hg. von Giles Constable,
Bd. 1, Cambridge, Mass. 1967, S. 179 –189, hier S. 188.
12 Bernhard von Clairvaux, Parabolae 3: De Filio Regis Sedente Super Equum, in: Sancti Bernardi Opera,
hg. von Jean Leclercq/Henri-Marie Rochais, Bd. 6,2: Sermones 3, Rom 1972, S. 274 –276.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften