Innovation aus Verantwortung | 345
Kern total individualistisch und uneingeschränkt emotional – also zwangsläufig
radikal und antiinstitutionell. Zugleich aber war er institutionell gedrosselt, der
Disziplin und der Demut unterworfen, in die Rahmungen einer Friedensgemeinschaft
eingegossen sowie in Regeln und Ritualen gefasst, welche das Maßhalten, die
discretio zur Grundlage hatten. Klöster waren demnach die ersten Gemeinschaftsformen
des Mittelalters, die im Alltäglichen konsequent aufzuzeigen lernten, dass
die Pragmatik des Lebens nicht zu führen war, ohne einen transzendierenden Bezug
auf sinnstiftende Werte und Normen, denen man sich innerlich verpflichtet fühlte,
bzw. dass die Pragmatik des Lebens letztlich nur gelingen konnte, wenn man sich
auch in seinem individuellen Inneren emotional, ja sogar leidenschaftlich mit ihren
Regeln identifizierte.
Aus Verantwortung für sich selbst und für ihre Gemeinschaft also haben die
Klosterleute ganz offensichtlich die innovatorische Kraft bezogen, eine Balance von
verinnerlichtem Glauben und pragmatischer Organisation des Lebens herzustellen
und sich damit die eigene, noch irdische Welt so auszugestalten, dass Hoffnung auf
eine Öffnung des Himmels bestand.
In einer Epoche wie dem Mittelalter, in der der christliche Glaube – wie eingangs
schon hervorgehoben worden ist – die Grundlage der Kultur bedeutete und er in
allen gesellschaftlichen Bereichen als Maßstab und Letztbegründung präsent war,
mussten sich folglich Klöster auch jedem, der außerhalb von ihnen in der säkularen
Welt lebte, prinzipiell als normverbürgende Modelle eines an Gott orientierten Lebens
zeigen. Hierin lag wohl kulturell fundiert, wieso Klöster überhaupt belehrend
auf die Welt wirken konnten – oder genauer gesagt: wieso sie auf so viel Akzeptanz
für ihre innovativen Werte, Verhaltensweisen und Einrichtungen stießen. Doch tatsächlich
hätte sich eine solche Wirkung nicht eingestellt, wenn sie allein die Folge
jener Verantwortungsbereitschaft gewesen wäre, die ja gänzlich an den internen
Verhältnissen orientiert war, und wenn man nicht seitens der Klöster auch eine Brücke
der Verantwortung zur Welt geschlagen hätte, die ebenfalls richtungsweisende
Innovationen hervorzubringen vermocht hatte.
Klosterleute sind über alle Epochen des Mittelalters hinweg mit den unermüdlichen
Arbeitern im stets gefährdeten Weinberg des Herrn (Jes. 5, 1–7; Matth. 21,
33 – 42) verglichen worden. So wurden zum Beispiel von Honorius Augustudonensis
im 12. Jahrhundert die Wochentage des Klosters sogar mit den sechs Weltzeitaltern
gleichgesetzt, während deren heilsgeschichtlichem Ablauf »bereits Abel
und andere Gerechte, Noah, Johannes der Täufer und die Apostel nach und nach
im Weinberg des Herrn gearbeitet hätten«, ¹³ sodass im Klosterleben die Sukzession
13 Honorius Augustodunensis, Gemma animae, in: Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul Migne, Bd. 172,
Paris 1854, Sp. 541–738, hier Sp. 634.
Kern total individualistisch und uneingeschränkt emotional – also zwangsläufig
radikal und antiinstitutionell. Zugleich aber war er institutionell gedrosselt, der
Disziplin und der Demut unterworfen, in die Rahmungen einer Friedensgemeinschaft
eingegossen sowie in Regeln und Ritualen gefasst, welche das Maßhalten, die
discretio zur Grundlage hatten. Klöster waren demnach die ersten Gemeinschaftsformen
des Mittelalters, die im Alltäglichen konsequent aufzuzeigen lernten, dass
die Pragmatik des Lebens nicht zu führen war, ohne einen transzendierenden Bezug
auf sinnstiftende Werte und Normen, denen man sich innerlich verpflichtet fühlte,
bzw. dass die Pragmatik des Lebens letztlich nur gelingen konnte, wenn man sich
auch in seinem individuellen Inneren emotional, ja sogar leidenschaftlich mit ihren
Regeln identifizierte.
Aus Verantwortung für sich selbst und für ihre Gemeinschaft also haben die
Klosterleute ganz offensichtlich die innovatorische Kraft bezogen, eine Balance von
verinnerlichtem Glauben und pragmatischer Organisation des Lebens herzustellen
und sich damit die eigene, noch irdische Welt so auszugestalten, dass Hoffnung auf
eine Öffnung des Himmels bestand.
In einer Epoche wie dem Mittelalter, in der der christliche Glaube – wie eingangs
schon hervorgehoben worden ist – die Grundlage der Kultur bedeutete und er in
allen gesellschaftlichen Bereichen als Maßstab und Letztbegründung präsent war,
mussten sich folglich Klöster auch jedem, der außerhalb von ihnen in der säkularen
Welt lebte, prinzipiell als normverbürgende Modelle eines an Gott orientierten Lebens
zeigen. Hierin lag wohl kulturell fundiert, wieso Klöster überhaupt belehrend
auf die Welt wirken konnten – oder genauer gesagt: wieso sie auf so viel Akzeptanz
für ihre innovativen Werte, Verhaltensweisen und Einrichtungen stießen. Doch tatsächlich
hätte sich eine solche Wirkung nicht eingestellt, wenn sie allein die Folge
jener Verantwortungsbereitschaft gewesen wäre, die ja gänzlich an den internen
Verhältnissen orientiert war, und wenn man nicht seitens der Klöster auch eine Brücke
der Verantwortung zur Welt geschlagen hätte, die ebenfalls richtungsweisende
Innovationen hervorzubringen vermocht hatte.
Klosterleute sind über alle Epochen des Mittelalters hinweg mit den unermüdlichen
Arbeitern im stets gefährdeten Weinberg des Herrn (Jes. 5, 1–7; Matth. 21,
33 – 42) verglichen worden. So wurden zum Beispiel von Honorius Augustudonensis
im 12. Jahrhundert die Wochentage des Klosters sogar mit den sechs Weltzeitaltern
gleichgesetzt, während deren heilsgeschichtlichem Ablauf »bereits Abel
und andere Gerechte, Noah, Johannes der Täufer und die Apostel nach und nach
im Weinberg des Herrn gearbeitet hätten«, ¹³ sodass im Klosterleben die Sukzession
13 Honorius Augustodunensis, Gemma animae, in: Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul Migne, Bd. 172,
Paris 1854, Sp. 541–738, hier Sp. 634.