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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Melville, Gert: Innovation aus Verantwortung: Kloster und Welt im Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0347
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346 | Gert Melville
dieses soteriologischen Wirkens gewissermaßen durch dessen Vergleichzeitigung
kondensiert werde. Otto von Freising sah dementsprechend in den Religiosen seiner
Zeit diejenigen, die durch ihre Verdienste Gott allein dazu bewegen werden, die
Sündhaftigkeit der Welt noch länger zu ertragen. Die Klosterleute wurden damit
in die Verantwortung genommen, dass der Weinberg des Herrn nicht nur – wie es
bei Jesaja (5, 13) hieß – »saure Beeren« bringe oder gänzlich »zum Ödland« werde.
Und so lebten die Frauen und Männer in den Klöstern den in der Welt Verbliebenen
nicht nur ein Modell vor, welches allen veranschaulichte, dass Erlösung tatsächlich
möglich war, vielmehr wurde ihnen unterstellt, dass sie diejenigen seien, die auch
im ganz besonderen Maße selbst die Erlösung bewirken konnten. Diese Arbeiter im
Weinberg leisteten Gott also nicht nur Dienste um ihres eigenen Seelenheils willen,
sondern um des Heiles der gesamten Christenheit, mehr noch der ganzen Welt und
ihrer Menschen willen.
Eine solch universelle Leistungszuweisung hatte Tradition, die weit zurückreicht
in die Geschichte der Klöster. Vielleicht ist in ihrem Zusammenhang schon jene
etwas geheimnisvolle Episode in Gregors des Großen Bericht über seinen Montecassiner
Abt zu sehen, bei der Benedikt – wie es hieß – eines Nachts auf dem Turm
seines Klosters »die ganze Welt wie in einem einzigen Sonnenstrahl gesammelt vor
Augen geführt« wurde. Sie wird durch Gregor mit den Worten kommentiert: »Im
Licht der inneren Schau öffnet sich der Grund der Seele, weitet sich in Gott und
wird so über den Erdkreis erhoben.« ¹⁴ Hier kam es nicht auf die Wahrheit des geschichtlichen
Ereignisses an, sondern auf die Botschaft, die von diesem berühmten
Text Gregors in das Mittelalter hineingetragen wurde – nämlich, dass die Wendung
zum Inneren der Seele (von der wir eben schon so viel gehört haben) auch die Kraft
verleihe, mit der Seele die gesamte Welt umgreifen zu können.
Über andere, spätere Benediktiner wurde gesagt, sie selbst seien das »Licht der
Welt«. Papst Urban II. benannte auf diese Weise im Jahre 1097 die Cluniazenser
nach Worten aus der Bergpredigt und fügte hinzu, sie strahlten wie eine zweite
Sonne auf Erden. ¹⁵ Eine besondere Marienverehrung hatte die Cluniazenser bereits
ab der Jahrtausendwende in der Annahme einer solchen Zuweisung von Verantwortung
für die ganze Welt bestärkt. In Maria nämlich sahen sie ihre eigene Jungfräulichkeit
gespiegelt, und eben aus deren himmlischer Reinheit glaubten sie ihre
herausragende Stärke zu beziehen, die sie zu Wesen zwischen Mensch und Engel
erheben könne und die damit rechtfertige, dass die Christenheit von ihnen als den
Reinsten zu lenken sei, dass in ihrem Mönchtum – in ihrer ecclesia Cluniacensis,
14 Gregor der Große, Der hl. Benedikt. Buch II der Dialoge. lateinisch/deutsch, hg. im Auftrag der Salzburger
Äbtekonferenz, 2. Aufl. St. Ottilien 2008, S. 197.
15 Bullarium sacri ordinis Cluniacensis, Lyon 1680, S. 30f.
 
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