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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Melville, Gert: Innovation aus Verantwortung: Kloster und Welt im Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0348
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Innovation aus Verantwortung | 347
also in ihrer Mönchskirche – als Elite einer Glaubensvirtuosität, die eigentliche spirituelle
Führung der Kirche zu liegen habe.
War es hier noch um Mönche gegangen, die aus ihrer streng klaustralen Lebensform
heraus diese Wirkungskraft zu entfalten vermochten, so dürfte jene Verantwortungszuweisung
bei den seelsorgerisch orientierten Regularkanonikern des
späten 11. und des 12. Jahrhunderts, die zudem zum wirkungsvollen Instrument der
Kirchenreform geworden waren, noch mehr auf der Hand gelegen haben. Recht
unverblümt heißt es demnach in einem anonymen Traktat jener Epoche (und dabei
durchaus deutlich analoge Ansprüche des Mönchtums zurückweisend), die Regularkanoniker
seien es, die man das Licht der Welt und das Salz der Erde nennen müsse,
denn sie seien Gott für sich sowie für das ganze Volk Rechenschaft schuldig. ¹⁶ Eine
weitere zeitgleiche Schrift aus dem Salzburger Reformkreis um Erzbischof Konrad I.
sprach gar von den Regularkanonikern als der von Christus gegebenen Medizin
zur Rettung der Menschheit vor ihrem Verberben. Der Text maß zudem den ersten
Rang in der klösterlichen Welt der vita canonica zu, denn in dieser Lebensform
werde das einstige gemeinschaftliche Leben der Apostel auf – wie es hieß – »moderne
Weise« erneuert und das Überalterte der Gegenwart aufgehoben zugunsten
wiedererweckter Frische. ¹⁷
Etwa ein Jahrhundert später konnte man in der Kanonisationsbulle des Dominikus
von 1234 lesen, dass von den vier Karren des Propheten Zacharias, die
ausgesandt worden seien von Christus, um dem »mangelnden Vertrauen ungläubiger
Menschen entgegenzuwirken«, der erste die Märtyrer darstelle, der zweite die
Söhne Benedikts als Vertreter eines neuen Israels und der dritte den Orden der Zisterzienser.
Dann aber zur jetzigen »elften Stunde«, als die »Sonne der Gerechtigkeit
zur Neige ging« und der »Weinberg durch Dornen des Lasters verunkrautet« sei,
da sammelte der Herr eine »Schar von Streitern, die noch wirkungsvoller waren als
die früheren« – nämlich die Predigerbrüder, also die Jünger des Dominikus, und die
Minderbrüder des Franziskus. Gott selbst also war es – so wurde unterstrichen – ,
der Dominikus zum »herausragenden Führer im Volke des Herrn« berief. ¹⁸
16 Biblioteca Vaticana, cod. Ottob. lat. 175, f. 65r; cf. Cosimo Damiano Fonseca, Monaci e canonici alla
ricerca di una identità, in: Istituzioni monastiche e istituzioni canonicali in Occidente (1123 –1215). Atti
della settima Settimana internazionale di studio (Mendola, 28 agosto–3 settembre 1977) (Miscellanea del
Centro di Studi Medioevali 9), Milano 1980, S. 203 –222, hier S. 208 f.
17 Prologus et praefatio cuiusdam sapientis in regulam beati Augustini, hg. von Stefan Weinfurter, in:
Ders., Vita canonica und Eschatologie. Eine neue Quelle zum Selbstverständnis der Reformkanoniker
des 12. Jahrhunderts aus dem Salzburger Reformkreis, in: Secundum regulam vivere. Festschrift für P.
Norbert Backmund O. Praem., hg. von Gert Melville, Windberg 1978, S. 139 –168, hier S. 158.
18 Acta Canonizationis S. Dominici, hg. von Angelus Walz, in: Monumenta historica Sancti Patris Nostri
Dominici, Bd. 2 (Monumenta Ordinis Fratrum Praedicatorum historica 16), Rom 1935, S. 89 –194, hier
S. 191 f.
 
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