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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Melville, Gert: Innovation aus Verantwortung: Kloster und Welt im Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0350
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Innovation aus Verantwortung | 349
tik an den genannten Bettelorden, die des Dünkels, der Ruhm- und Herrschsucht,
der Habgier und Prachtliebe verfallen seien. Statt ihrer sei ein neues blühendes Religiosentum
mit einer von Christus selbst gegebenen Regel aufzustellen. Unter Verwendung
wieder des Bildes vom Weinberg des Herrn hieß es im schon Prolog dieser
Regel: Die Diener des Königs hätten in allen seinen Weinbergen nur Unkraut und
wenig Reben gefunden, worauf der Herr anwies, einen neuen Weinberg anzulegen.
Er selbst werde »über ihn wachen, dass alles Schädliche, was hineingepflanzt wird,
abdorre, abfalle, ausgerottet und unschädlich, der Wein aber umso kräftiger und
süßer werde«. »Aus diesem Weinberge aber«, so war weiterzulesen, »werden viele
schon lange dürr gewesene Weinberge sich zu erneuern und je nach dem Tage ihrer
Erneuerung Frucht zu tragen beginnen.« ²²
Nicht von ungefähr ist in dieser (und hier keineswegs vollständig vorgetragenen)
Kette von Verantwortungszuweisungen immer wieder von völlig neu ansetzenden
Reformen, von jugendlicher Frische und modernen Lebensweisen die Rede gewesen,
die dem Alten, Überholten gegenübergestellt wurden. Selbst das Zurückwollen
zum Evangelium, zur Urkirche, zur Apostelgemeinschaft bedeutete ein Vorwärts,
weil es das hinter sich lassen sollte, was mittlerweile die ursprüngliche, von Gott gegebene
Form verdunkelt und verfälscht hatte. Die Fundamente aber in der aktuellen
Gegenwart wiederzubesetzen, verlangte Anpassung an veränderte Welten, verlangte
neue Methoden, neue Sinnstiftungen und neue »Ordnungskonfigurationen«, die
der Aktualität des jeweils jetzt Notwendigen entsprachen – verlangte innovatorischen
Geist, der (um eine Formulierung von Hans-Joachim Schmidt aufzugreifen ²³ )
»Legitimität« verlieh, weil man seiner bedurfte. Um im Bild des Mittelalters zu
bleiben: Die Arbeit im Weinberg des Herrn war zwar fortwährend zu leisten, und
doch hatte Gott – so legte man dar – vier unterschiedliche Karren nach und nach
zur Rettung des Christentums ausgesandt, hatte er sukzessive drei unterschiedlichen
Generationen die Sorge um das Heil der Christenheit anvertraut, hatte er neue
Medizin gesandt, ein neues Licht der Welt geschaffen und neue Personen zur elften
Stunde in den Weinberg bestellt, ja gar einen neuen Weinberg angelegt.
Jene Verantwortungszuweisungen schufen innovatorisches Bewusstsein. Dieses
jedoch war nicht gleichzusetzen mit Innovationen. Innovationen sind der poten-
22 Sanctae Birgittae Revelaciones, hg. von Birger Bergh, Stockholm 1967–2002. Übersetzung nach Ludwig
Clarus, Leben und Offenbarungen der heiligen Brigitta, Bd. 1,1 (Sammlung der vorzüglichsten
mystischen Schriften aller katholischen Völker 10), 2. Aufl. Regensburg 1888, digitalisiert und bearbeitet
von Gertrud Willy: http://www.joerg-sieger.de/isenheim/menue/frame12.htm (zuletzt abgerufen am
21.4.2014), hier Regula I 2.
23 Hans-Joachim Schmidt, Legitimität von Innovation. Geschichte, Kirche und neue Orden im 13. Jahrhundert,
in: Vita Religiosa im Mittelalter. Festschrift für Kaspar Elm zum 70. Geburtstag, hg. von Franz
Josef Felten/Nikolas Jaspert (Berliner historische Studien 31/Ordensstudien 13), Berlin 1999, S. 371–
391.
 
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