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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0029
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2. Gegenstand: Das Gewissen

zur germanischen Sprachfamilie gehörenden Englischen, das jeweils entspre-
chende Wort seine Herkunft aus dem lateinischen conscientia deutlich erken-
nen.45 Während in der deutschen Gegenwartssprache die moralische Dimension
des Begriffs klar dominiert,46 sind die Aspekte von ,Bewusstsein‘, ,Mitwissen*
oder schlicht,Wissen* in den anderen genannten Sprachen weitaus klarer präsent
als dies bei,Gewissen* der Fall ist.
Das Gewissen kann als conscientia consequens ebenso zurückblicken wie als
conscientia antecedens nach vorn.47 Damit ermöglicht das Reden vom Gewissen
dem Menschen, sich in ein Verhältnis zu all jenen Gegebenheiten zu setzen, mit
denen er sich konfrontiert sieht, und dabei diesem Verhältnis Ausdruck zu ver-
leihen. Es dient der Selbst- ebenso wie der Erkenntnis vorgängiger Prinzipien.
Das Gewissen fungiert somit als Metapher für die Thematisierung einer Diffe-
renz von äußeren Anforderungen und inneren Ansprüchen und wird dadurch
zum Austragungsort von Wertekonflikten - eine Funktionalität, die ihm auch die
Neurowissenschaften nicht absprechen.48
2.2 Erkenntnisinteressen: Philosophie und Seelsorge
Seit in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts Fragen des Gewissens als Ausdrücke
eines die Zeit prägenden Strebens nach Erkenntnis seiner selbst wie auch der aus
diesem Erkennen resultierenden Folgerungen für den Menschen neu und intensiver
als jemals zuvor thematisiert wurden, war es ein stetes Kennzeichen dieser Auf-
griffe, die relevanten Begriffe systematisch zu erfassen. Es war dies eine Zeit, für die
sich Fragen nach dem Wesen des Gewissens - ob es Akt, Potenz oder Habitus sei
- noch nicht im gleichen Maße stellten, wie dies ab dem 13. Jahrhundert der Fall
war. Die Debatten waren noch unbeeinflusst von den aristotelischen Schriften -
allen voran hier die Metaphysik die mit ihrem Begriffsapparat und Analyse-
instrumentarium gleichsam zu Gründungstexten der Hochscholastik wurden.
erkennen lässt, vgl. www.koeblergerhard.de/gotwbhin.html. Zum Gewissensbegriff in der
deutschen Sprachtradition vgl. U. Störmer-Caysa, Gewissen und Buch, S. 8-22 und passim.
45 Zur Sprachgeschichte und Semantik im Englischen vgl. G. Spitzbart, Das Gewissen, S. 5-40;
zusammenfassend: T. Potts, Conscience, S. 2-5, zu der im Französischen vgl. R. Lindemann,
Der Begriff der conscience.
46 Vgl. den Artikel „ Gewisse«“ im Wörterbuch der Deutschen Gegenwartssprache, Bd. 2, S. 1585 b,
wo die Bedeutung des ,Mitwissens‘ keine Erwähnung mehr findet.
47 Vgl. hierzu im Überblick H. Reiner, „ Gewissen“, Sp. 591f., Ders., Die Funktionen des Gewis-
sens, S. 471f., sowie zur historischen Entwicklungsdimension unten S. 30f.
48 Vgl. D. Stederoth, Jiminy und die Grillen der Hirnforschung', G. Roth, Fühlen, Denken,
Handeln, S. 380f.
 
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