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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0050
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2.3 Systematisierungen: Ordnungen der Gewissensarten

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tica zu versehen gewesen wären. Dem stand jedoch entgegen, dass die conscien-
tia - gerade auch im paulinischen Verständnis, wie es für das Mittelalter prägend
wurde - als ein Vermögen gedacht wurde, das prinzipiell allen Menschen zukam.
Der Entwurf des Petrus Cellensis wies jedoch in Richtung einer anderen
Entwicklung, die mit einigem zeitlichen Abstand greifbar wurde: In gewisser
Weise ist hier nämlich bereits der Grund einer Vorstellung gelegt, die im 17. Jahr-
hundert Virulenz gewann, als sich, wie Alois Hahn gezeigt hat, auch die Welt der
Laien „mit Forderungen konfrontiert [sah], die vordem nur an den weltflüchti-
gen religiösen Virtuosen gerichtet wurden“.129 Der Maßstab des Klosters wurde
nun an die Welt angelegt und folglich konnte nun auch das Gewissen der Welt-
leute gut sein - dann nämlich, wenn diese sich die conscientia claustralium zum
Maßstab erkoren.
b) Offene Struktur
Sofern Arten von Gewissen unterschieden wurden, findet sich fast immer die
binäre Differenzierung von gutem und schlechtem Gewissen; hier gibt es nur
wenige Ausnahmen.130 Diese beiden wurden jedoch in der Regel durch weitere
Typen ergänzt, die nicht in jedem Fall komplementär sind. Neben den strukturell
geschlossenen konzipierte man folglich auch solche ,Gewissensordnungen*, die
sich durch eine prinzipielle Offenheit und Erweiterbarkeit auszeichnen. Ihre
Zahl überwiegt die der geschlossenen bei weitem.
Im Folgenden sollen einige wenige Systematisierungsversuche beispielhaft
vorgestellt werden, um zumindest einen schmalen Überblick der vielfältigen
Entwürfe von Gewissenseinteilungen zu geben, die seit dem Mittelalter bis weit
in die Neuzeit hinein unternommen wurden. Ob es sich bei den nur exempla-
risch herangezogenen Texten um diejenigen handelt, in denen das entsprechende
Einteilungsschema als erstes entwickelt wurde, konnte bei der Auswahl keine
Rolle spielen.
Zeitliche Orientierung
Ein solcher Klassifizierungsmodus betrifft die zeitliche Gerichtetheit des Ge-
wissens.131 Zwar ist sie als faktisches Unterscheidungsmerkmal im Mittelalter
weitgehend unbekannt, doch soll die Orientierung des Gewissens in der Zeit
hier als analytisches Differenzkriterium mit berücksichtigt werden, da die

129 A. Hahn, Religion und Welt, S. 89.
130 Paulus bspw. kennt noch kein schlechtes Gewissen: vgl. B. Hennig, Conscientia, S. 131-4.
131 Vgl. hierzu J. Müller, Willensschwäche, S. 287; B. Hennig, Conscientia, S. 154.
 
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