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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0159
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4. Der Traktat De quattuor modis conscientiarum

Mit der Metapher vom Gewissensabgrund ist jedoch nicht allein De quattuor
modis conscientiarum eröffnet, sondern das gleiche Bild - ja sogar die gleiche
Formulierung - findet sich im Traktat Vom inneren Haus. Das Verhältnis beider
Texte zueinander ist nicht mit Sicherheit zu klären, doch weisen sie neben dieser
zahlreiche weitere parallele Passagen auf, die am Ende dieses Kapitels noch näher
vorgestellt werden sollen.
Ob der unbekannte Verfasser des Traktats Von den vier Arten der Gewissen
also tatsächlich aus Augustinus’ Bekenntnissen schöpfte, ob ihm ein anderer
Text als Bezug diente oder er ein allgemein bekanntes Motiv in sein Werk ein-
baute, muss offen bleiben. Gleiches gilt auch für die anderen Referenzen auf wei-
tere Schriften des Bischofs von Hippo: den Psalmenkommentar {In Psalmum
LVIII, Sermo I), seine Abhandlung Über die wahre Religion und eine weitere
Predigt {Sermo LXXXVIIR). Aus der bloßen Parallelität der Passagen kann nicht
notwendig und eindeutig auf eine direkte Übernahme geschlossen werden.
Dies betrifft auch die festgestellten Bezüge zu authentischen Schriften des
Bernhard von Clairvaux: Neben dem Grundmotiv des Textes - den vier in
Kreuzklassifikation verbundenen Gewissensarten - betrifft dies auch weniger
zentrale Passagen. Eine tatsächlich wörtliche Übereinstimmung findet sich nur
zu zwei Formulierungen aus der 23. Hoheliedpredigt Bernhards und zur drit-
ten Predigt aus dessen Auferstehungszyklus. Ungeachtet dessen sind aber bereits
die motivischen Ähnlichkeiten zwischen dem Gewissenstraktat und anderen
Schriften des Clarevallensers auffällig und für sich genommen bemerkenswert.
Sie verweisen in jedem Fall darauf, dass der Traktat einem geistigen Milieu ent-
sprang, das demjenigen Bernhards nicht unähnlich gewesen sein dürfte. Hierzu
passt auch eine Parallele des Gewissenstraktats zu einer Passage innerhalb einer
Predigt des Nikolaus von Clairvaux (f ca. 1176), die sowohl unter den Werken
des Petrus Damiani (f 1072) als auch denen Bernhards von Clairvaux
gedruckt wurde.242
Unklar sind auch die Bezüge der Aussage, wonach das Gewissen gut sei, wenn
es vergangene Sünden bestrafe und es vermeide, in solche zurückzufallen: „Bona
conscientia est, que et preterita peccata punit et punienda committere refugit, que
etsi peccatum sentiat, peccato non consentit.“ (S. 186, Z. 12f.) Diese Bemerkung
Quis non turbatur in populis, cum conscientia pulsatur? Quaeris altitudinem maris, quid pro-
fundius humana conscientia? Ista profunditas turbata est, quando in brachio suo redemit popu-
lum suum Deus. Quomodo turbatae sunt abyssi? Quando omnes conscientias suas confitendo
fuderunt: Et turbatae sunt abyssi.“
242 Als Sermo LX {Homilia in vigilia natalis Domini), in den Sermones de tempore des Petrus
Damiani, hier Sp. 842 A. Als Sermo III {De fluvio Aegypti et ejus rivis per allegoriam) der
Sermones tres in Nativitate Domini des Nikolaus, hier Sp. 841 D. Zur Zuweisung der Predigt
an Nikolaus vgl. J. Leclercq, Les collections de sermons, S. 54.
 
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