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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0345
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6. Rezeptionen und Wirkungen

Ähnlich verhielte es sich für die zweite Gruppe: diejenigen, deren Gewissen
weder gut noch ruhig sei:
„Nicht gut und nicht ruhig ist das Gewissen der Verdammten und aller Sünder, die
die Hoffnung auf das Heil aufgegeben haben. Das Gewissen der Seelen im Purgato-
rium ist jedoch nicht so beschaffen, weil sie durch die Gnade gestärkt sind und die
Gewissheit ihres Heils besitzen. Ein ruhiges und überdies nicht gutes Gewissen ha-
ben diejenigen Sünder, die von ihren Leidenschaften geblendet sind [...] Das Gewis-
sen der Seelen im Purgatorium ist jedoch nicht so beschaffen, weil sie vollkommene
Reue empfinden und ihre begangenen Sünden bitterlich beweinen.“502
Auffällig an dieser Beschreibung ist nicht zuletzt der Umstand, dass die beiden
Arten des schlechten Gewissens - das ruhige wie auch das unruhige - von Leon
ganz offensichtlich nicht hinsichtlich ihrer Qualität unterschieden werden: Eine
mala conscientia befähigte seiner Ansicht nach in keinem Fall für das seelenret-
tende Feuer des Purgatoriums.
Somit kam der Karmelit auf die noch verbleibende Gruppe von Seelen zu
sprechen: jene nämlich, deren conscientia gut, aber unruhig sei, jene, die sich, wie
,Bernhard‘ gesagt habe, bereits zum Herrn bekehrt hätten und die ihre Jahre in
Bitterkeit überdenken würden. Es seien diejenigen, die in diesem Leben Buße
täten, es seien vor allem aber die im Fegefeuer gefangenen Seelen, jene, die in
ihren finsteren Kerkern bedenken würden, dass sie Gott, das höchste Gut, belei-
digt hätten.503
Soweit der Argumentationsgang des Karmeliten, der damit zwar keine eindeu-
tige Antwort auf seine ursprüngliche Frage nach dem Gewissenswurm gab, wohl
aber ein interessantes Beispiel für die Bezugnahme auf den Traktat Von den vier
Arten der Gewissen präsentiert. Sein Rekurs erfolgt dabei - anders als die meisten
anderen der hier vorgestellten - nicht vordergründig im Zusammenhang von Ge-
wissensdiskussionen. Mit der Frage nach der Bereitschaft des Sünders zu Reue
und Buße stand vielmehr bereits eine Gewissensregung im Zentrum.
Die verschiedenen Qualitäten des Gewissens fungierten in Leos Predigt
gleichsam als Indikatoren der Heilsbefähigung des Menschen. Dem Purgatorium
502 „Non bona, et non tranquilla, est conscientia damnatorum, et omnium peccatorum, qui de salute
desperant; nec talis est conscientia animarum in Purgatorio: quia sunt confirmata: in gratia, et ha-
bent certitudinem sua: salutis. Conscientia tranquilla, etiam non bona, est illorum peccatorum,
qui obcaccati passionibus suis [...] nec talis est conscientia animarum in Purgatorio; quia perfec-
te contritae, amare deflent commissa peccata.“ Ebd.
503 „Conscientia bona, et non tranquilla, Est eorum, inquit Bernardus, qui, jam conversi ad Domi-
num, recogitant annos suos in amaritudine. Tales sunt poenitentes hujus vitae, sed praecipue
animae captivae in Purgatorio, recogitantes in suis tenebris quod Deum, summum bonum, offen-
derint.“ Ebd., S. xxii a.
 
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