6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen
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ausdrücklich ab. In solchen Fällen beschränkte sich die Funktion des Gewissens
auf die eines inneren Anklägers.577
Den durch eine solche Differenzierung erwachsenden Widerspruch themati-
sierte der Prediger nicht: den nämlich, warum ein schlechtes Gewissen unter die-
ser Prämisse überhaupt unruhig sein konnte, wenn dessen Unruhe doch wesent-
lich aus der erkannten Diskrepanz des eigenen Tuns und dem normativ gegebenem
Sollen resultierte; wenn also das Gewissen seine Funktion als Stimme Gottes
verlor; wenn syndereis und conscientia nicht mehr im Begriff des Gewissens ver-
eint waren.
Seine derart strikt reglementierte Funktionszuweisung hatte zudem zur Folge,
dass ein ,irrendes Gewissen* in dieser Konstellation keinen Platz haben konnte.
Fast konsequent mutet vor diesem Hintergrund auch Nieberleins Verzicht auf
eine Behandlung des guten und doch unruhigen Gewissens an - wohl weil der
menschliche Zweifel in seiner simplifizierenden Deutung nicht vorgesehen war.
Diese Vereinfachung in mancherlei Hinsicht kann wohl vor allem als Zugeständ-
nis an das in der Dedicatio auctoris benannte Zielpublikum seiner Predigten ver-
standen werden,578 weniger als Ausdruck mangelnder Vertrautheit mit den Dis-
kursen um das Gewissen.
Wenn Nieberlein somit auch an keiner Stelle seiner Predigt explizit das Ord-
nungsschema der vier Gewissensarten aufrief, so ist es jedoch als Subtext omni-
präsent, wobei allerdings nur die ruhige und unruhige Form des schlechten Ge-
wissens, sowie das gute und ruhige behandelt wurden. Das gute, aber dennoch
unruhige Gewissen blieb hingegen außen vor.
Die Ausführungen zu den beiden Arten des schlechten Gewissens - dem unru-
higen wie dem ruhigen - muten im Vergleich zu seinen Formulierungen über das
gute Gewissen recht konventionell an. Ausführlich und anhand zahlreicher histo-
risch-konkreter, aber auch von Jedermannsbeispielen wies er auf die Gefahren des
schlechten Gewissens hin, das - sofern es unruhig und folglich auch für die Worte
der Prediger noch empfänglich sei - unter seiner eigenen Bosheit leiden würde.
Als zentrale Figur fungierte dabei der Gewissenswurm, dessen Metaphorik wohl
eingängig genug schien, um der von Nieberlein unterstellten Erwartungshaltung
seines Publikums zu entsprechen; diesen Wurm nicht in das Innere zu lassen, war
577 „So lang das Gewissen des Menschen gut ist, so ist es sein letzter, und bester Rathgeber; wird
aber das Gewissen durch ein üble That verderbt, so ist es des Menschen erster und fast größter
Ankläger.“ Ebd., S. 56 a.
578 „Alleinig ist zu wissen, daß dises Buch gestellt, und dedicieret seye denen Pfarr-Herren, und
Seel-Sorgern auf dem Land; und gantz ein anderes seye, Predigen vor gelehrten Leuthen in
denen Städten, und Predigen vor dem gemeinem einfältigen Volck auf dem Land abzulegen.“
Ebd., Dedicatio auctoris, [S. 1].
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ausdrücklich ab. In solchen Fällen beschränkte sich die Funktion des Gewissens
auf die eines inneren Anklägers.577
Den durch eine solche Differenzierung erwachsenden Widerspruch themati-
sierte der Prediger nicht: den nämlich, warum ein schlechtes Gewissen unter die-
ser Prämisse überhaupt unruhig sein konnte, wenn dessen Unruhe doch wesent-
lich aus der erkannten Diskrepanz des eigenen Tuns und dem normativ gegebenem
Sollen resultierte; wenn also das Gewissen seine Funktion als Stimme Gottes
verlor; wenn syndereis und conscientia nicht mehr im Begriff des Gewissens ver-
eint waren.
Seine derart strikt reglementierte Funktionszuweisung hatte zudem zur Folge,
dass ein ,irrendes Gewissen* in dieser Konstellation keinen Platz haben konnte.
Fast konsequent mutet vor diesem Hintergrund auch Nieberleins Verzicht auf
eine Behandlung des guten und doch unruhigen Gewissens an - wohl weil der
menschliche Zweifel in seiner simplifizierenden Deutung nicht vorgesehen war.
Diese Vereinfachung in mancherlei Hinsicht kann wohl vor allem als Zugeständ-
nis an das in der Dedicatio auctoris benannte Zielpublikum seiner Predigten ver-
standen werden,578 weniger als Ausdruck mangelnder Vertrautheit mit den Dis-
kursen um das Gewissen.
Wenn Nieberlein somit auch an keiner Stelle seiner Predigt explizit das Ord-
nungsschema der vier Gewissensarten aufrief, so ist es jedoch als Subtext omni-
präsent, wobei allerdings nur die ruhige und unruhige Form des schlechten Ge-
wissens, sowie das gute und ruhige behandelt wurden. Das gute, aber dennoch
unruhige Gewissen blieb hingegen außen vor.
Die Ausführungen zu den beiden Arten des schlechten Gewissens - dem unru-
higen wie dem ruhigen - muten im Vergleich zu seinen Formulierungen über das
gute Gewissen recht konventionell an. Ausführlich und anhand zahlreicher histo-
risch-konkreter, aber auch von Jedermannsbeispielen wies er auf die Gefahren des
schlechten Gewissens hin, das - sofern es unruhig und folglich auch für die Worte
der Prediger noch empfänglich sei - unter seiner eigenen Bosheit leiden würde.
Als zentrale Figur fungierte dabei der Gewissenswurm, dessen Metaphorik wohl
eingängig genug schien, um der von Nieberlein unterstellten Erwartungshaltung
seines Publikums zu entsprechen; diesen Wurm nicht in das Innere zu lassen, war
577 „So lang das Gewissen des Menschen gut ist, so ist es sein letzter, und bester Rathgeber; wird
aber das Gewissen durch ein üble That verderbt, so ist es des Menschen erster und fast größter
Ankläger.“ Ebd., S. 56 a.
578 „Alleinig ist zu wissen, daß dises Buch gestellt, und dedicieret seye denen Pfarr-Herren, und
Seel-Sorgern auf dem Land; und gantz ein anderes seye, Predigen vor gelehrten Leuthen in
denen Städten, und Predigen vor dem gemeinem einfältigen Volck auf dem Land abzulegen.“
Ebd., Dedicatio auctoris, [S. 1].