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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0052
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48 I Eva Schlotheuber

Gandersheim, dass die Töchter und später die weiblichen Mitglieder der Grün-
derfamilie das Äbtissinnenamt übernehmen sollten. Wie schwierig es werden
konnte, wenn diese Verbindungen wegbrachen, zeigte sich im königsnahen
Frauenstift Essen unter der ottonischen Äbtissin Theophanu in der Mitte des
11. Jahrhunderts, als das Stift nach dem Tod Heinrichs II. mit der Königsnähe
die politische Zentrumsfunktion und Handlungsmacht verlor.
Die Kirchenhierarchie, die sich im 12. Jahrhundert auf der Basis des Kirchen-
rechts ausbildete, versuchte insgesamt eine Kontrolle und Disziplinargewalt
über die Geistlichen zu erreichen, an deren Spitze der Papst und die römische
Kurie standen. Über die Pröpste als geistliche Vorsteher und die cura monialium
wurden die Nonnen jetzt in diese sich ausbildenden hierarchischen Strukturen
eingebunden. Ihre Einbindung und Kontrolle musste der Kirche ein zunehmend
wichtiges Anliegen sein, denn die Gründung religiöser Frauengemeinschaften
wurde seit dem Hochmittelalter fast zu einem Massenphänomen, da diese Le-
bensform nun viel breiteren gesellschaftliche Schichten als zuvor offen stand.42 43
Die weitgehend autonome Stellung der Vorsteherinnen der Frauenklöster alten
Zuschnitts wurde mit der Reform drastisch beschnitten und ihr Handlungs-
spielraum durch die Einführung der strengen Klausur auf den eigenen Konvent
beschränkt. Im 12. Jahrhundert entfaltete und differenzierte sich die mittelalter-
liche Gesellschaft in einem vorher nicht gekannten Maße aus, wodurch natürlich
auch das regionale Machtgefüge komplexer und vielschichtiger wurde. Vermut-
lich wurde damit auch für die Frauengemeinschaften das äußere Agieren erheb-
lich anspruchsvoller und komplizierter, nicht zuletzt auch aufgrund der zu-
nehmenden Durchsetzung des Kirchenrechts und einer sich verdichtenden
Verwaltung im Zusammenspiel mit den Diözesangewalten oder der Kurie. Die
Einführung der Pröpste bedeutete zwar einerseits eine „Entmachtung“ der Vor-
steherinnen vor allem hinsichtlich der Gestaltungsmöglichkeiten nach außen,
aber die dadurch bewirkte Aufgabenteilung führte eben auch zu einer entschei-
denden Entlastung. Die wichtige und mühselige Aufgabe der Durchsetzung der
42 Gerd Althoff, Ottonische Frauengemeinschaften im Spannungsfeld von Kloster und Welt,
in: Jan Gerchow (Hg.), Essen und die sächsischen Frauenstifte im Frühmittelalter (Essener
Forschungen zum Frauenstift 2), Essen 2003, S. 29-44.
43 Aus der Sicht der Amtskirche verschärfte sich die Notwendigkeit einer Kontrolle durch das
Auftreten häretischer Gruppen wie der Katharer und Waldenser, die die Sakramentenhoheit,
Disziplinargewalt und Lehrautorität der Kirche in Frage stellten und vor allem Frauen in
ihren Bann zogen. Nicht umsonst gründete Dominikus mit Prouille als erstes einen Frauen-
konvent; vgl. zu diesem großen Umbruch Eva Schlotheuber, The ‘Freedom of their Own
Rule’ and the Role of the Provost in Women’s Monasteries of the Twelfth and Thirteenth
Centuries, in: Fiona J. Griffiths/JuIIc Hotchin (Hgg.), Partners in Spirit. Women, Men,
and Religious Life in Germany, 1100-1500 (Medieval Women: Texts and Contexts 24), Turn-
hout 2014, S. 109-144.
 
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