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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0060
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56 I Volker Leppin

sancta entsprechend zu üben13. Es handelte sich um eine weltliche Enteignung
der Franziskaner zu ihrem eigenen spirituellen Wohl.
Tatsächlich hatte der Papst in diesem Zusammenhang nicht nur allgemein er-
klärt, dass die Franziskaner jene seien, die Lehre und Leben Christi nachfolg-
ten14, sondern auch im Besonderen, quod abdicatio proprietatis huiusmodi om-
nium rerum non tarn in speciali, quam etiam in communi propter Deum meritoria
est et sancta, quam et Christus, viam perfectionis ostendens, verbo docuit et
exemplo firmavit 15. Berengar Talon hatte also gute Gründe, den häretischen
Charakter der Aussage des verhafteten Begarden zu bezweifeln und seine Aus-
sage für päpstlich approbiert zu halten. Vor allem aber machte er deutlich, dass
mit dessen Verurteilung nicht allein die abweichenden Spiritualenkreise um Olivi
in der Provence getroffen waren16, sondern auch die Grundlagen des Franziska-
nerordens selbst. Ob nun von Johannes von Belna intendiert oder nicht: Die Dis-
kussion verschob sich von der Abwehr einer längst in den Fokus der Inquisition
geratenen Bewegung auf einen kirchlich akzeptierten und integrierten Orden.
Der Inquisitor aber wollte sich nicht die Argumentation Berengars zu eigen ma-
chen, sondern forderte diesen zum Widerruf auf - den verweigerte der Franzis-
kanerlektor und appellierte an den Papst17. Damit war eine zweite Verschiebung
erfolgt: Was Johannes von Belna als notorische Häresie behandelt wissen wollte,
wurde, unter Verweis auf eine päpstliche Verlautbarung, selbst zu einer neuerlich
durch einen Papst zu entscheidenden Frage. Damit war nach dem praktischen
Armutsstreit um die Frage, was das Leben nach der paupertas sancta in der Rea-
lität bedeuten möchte, der theoretische Armutsstreit um die biblischen Grund-
lagen des Franziskanerordens eröffnet. Eben als solche behandelt sie scheinbar
auch der Papst, an welchen Berengar appelliert hatte, freilich erst nachdem er
diesen gefangen gesetzt hatte18: Er stellte öffentlich die Frage, videlicet utrum
pertinaciter affirmare Dominum lesum Christum eiusque apostolos non habuisse
ahqua in speciali nec etiam in communi foret haereticum censendumC Unter den

habere, proprietatem et dominium [...] in nos et Romanam ecclesiam plene et libere pertinere
hacpreaesenti constitutione in perpetua valitura sancimus.
13 Ebd., Sp. 1115.
14 Ebd., Sp. 1110: Hi sunt Uhus sanctae regulae professores, quae evangelico fundatur eloquio,
vitae Christi roboratur exemplo fundatoris militantis ecclesiae, Apostolorum eius sermonibus
actibusque firmatur.
15 Ebd., Sp. 1112.
16 S. zu Olivi und der Bewegung um ihn David Burr, Olivi and Franciscan Poverty. The On-
gins of the Usus Pauper Controversy, Philadelphia 1989.
17 Nicolaus Minorita, Chronica (wie Anm. 4), S. 63; Bullarium Franciscanum (wie Anm. 4),
Bd. 5, Sp. 224 Anm. 1.
18 Ebd.
 
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