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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0072
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68 I Volker Leppin

Entscheidender Beleg für die Lebensweise Christi ist ihm Mt 8,20: Vulpes
foveas habent et volucres caeli tabernacula. Filius autem hominis non habet ubi
caput rechnet^. Aus dieser Aussage folgt, dass Jesus Christus und ihm folgend
auch die Apostel jedenfalls keinen Grundbesitz in Judäa erworben haben84 85.
Komplexer war die Argumentation, dass auch weitere Besitztümer nicht ihr
Eigentum waren. Dies begründete Ockham einerseits mit den normativen Vor-
gaben Jesu Christi selbst, andererseits mit den für das Verständnis des 14. Jahr-
hunderts historisch nachvollziehbaren Gegebenheiten im Apostelkreis und der
Urgemeinde.
Dass in einem ersten Argumentationsgang die Anweisungen Christi unmit-
telbar auf die Realität zu beziehen seien, begründete Ockham mit einem Syllo-
gismus, dessen Obersatz für ihn außer Zweifel stand86 87 88:
„Sicut Apostoli servabant Consilium Christi de castitate et oboedientia, ita etiam
servabant consilium Christi de paupertate.
Sed Christus docuit et consuluit abdicationem proprietatis omnium temporalium in
speciali;
ergo Apostoli servabant idem consilium.“^
Zu beweisen war der Untersatz, dass Christus tatsächlich jedes individuelle Ei-
gentum verboten hatte. Ockham führte hierzu die für Franziskaner ganz zent-
rale Aufforderung aus Mt 19,21 an den reichen Jüngling an: si vis perfectus esse
vade vende quae habes et da pauperibus et habebis thesaurum in caelo et vem
sequere meS8.
Der zweite Argumentationsgang betraf die für das historische Verständnis
seiner Zeit erschließbaren realen Verhältnisse im Apostelkreis und in der Urge-
meinde. Für die Apostel hatte schon bei Michael von Cesena der kurz nach der
Erzählung vom reichen Jüngling zu findende Vers Mt 19,27: Ecce nos reliquimus

84 Die Textfassung bei Ockham, Opus nonaginta dierum c. 5,64f. (Ockham, Opera Pohtica 1
[wie Anm. 10], S. 347), weicht geringfügig ab: Vulpes foveas habent, et volucres coeh nidos;
Filius autem hominis non habet ubi caput suum reclinet.
85 Ockham, Opus nonaginta dierum c. 5, 65-76 (Ockham, Opera Pohtica 1 [wie Anm. 10],
S. 347).
86 Ockham, Opus nonaginta dierum c. 9, 275 (Ockham, Opera Pohtica 2 [wie Anm. 50], S. 387):
Maior videtur aperta.
87 Ockham, Opus nonaginta dierum c. 9, 273-275 (Ockham, Opera Pohtica 2 [wie Anm. 50],
S. 387).
88 Bei Ockham, Opus nonaginta dierum c. 9, 278f. (Ockham, Opera Pohtica 2 [wie Anm. 50],
S. 387); c. 76, 99-104 (ebd. 607); c. 78, 25f. (ebd. 636) mit kleinen Abweichungen gegenüber
der modernen Vg.-Ausgabe.
 
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