Metadaten

Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0102
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
98 I Michael Hänchen und Gert Melville

zentralen Instanzen bzw. Organe, welche einerseits die Normen des gemein-
schaftlichen Lebens im Einzelnen wie im Gesamten verkörperten, sie fortlau-
fend prüften, verbesserten, neuen Bedürfnislagen anglichen und sie in ihrer
gleichförmigen Einhaltung kontrollierten, welche aber andererseits auch situa-
tive Devianzen korrigierten und äußere Störungen abfederten. Sie besaßen eine
zentrifugale, den gesamten Orden erfassende Wirkmacht, welche einen An-
spruch auf Legitimität allein auf der Tatsache gründete, durch den Orden selbst
zu dessen Gedeihen legal initiiert worden zu sein.
Die Ordensorganisationen wiesen bereits im 12. Jahrhundert innovatorische
Elemente auf, die später auch Formen der modernen Staatlichkeit auszeichne-
ten - wie etwa eine Differenzierung zwischen Amt und Person, ein funktionel-
les Zusammenwirken von Kontroll-, Entscheidungs- und Revisionsinstanzen,
Regelungen zur politischen, rechtlichen und administrativen Entscheidungsfin-
dung, konsensual gesatztes, objektives Recht mit Verfassungscharakter usw.3
Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass solche Bausteine einer Ord-
nung in der Tat nur die Chance bereitstellten, einen effizienten „methodischen
Betrieb“4 durchzuführen. Sie setzten ,nur‘ den abstrakt normativen Rahmen für
praxisbezogene Steuerungsmechanismen in der alltäglichen Vielfalt von diver-
genten Regionen sowie im Geflecht unterschiedlicher Einflüsse und Lebens-
bereiche (Disziplin, Spiritualität, Liturgie, Bildung, Wirtschaft, soziale Zugehö-
rigkeiten usw.). Auf diese kontinuierlich und nicht nur in den extremen Fällen
einer einzelnen tiefgreifenden Reform5 wirkenden Steuerungsmechanismen

3 Vgl. die instruktiven Analysen von Klaus Schreiner, Observantia regularis. Normbildung,
Normenkontrolle und Normwandel im Mönchtum des hohen und späten Mittelalters, jetzt
in: Ders., Gemeinsam leben. Spiritualität, Lebens- und Verfassungsformen klösterlicher Ge-
meinschaften in Kirche und Gesellschaft des Mittelalters, hg. von Gert Melville in Verbin-
dung mit Mirko Breitenstein (Vita regularis. Abhandlungen 53), Berlin 2013, S. 331-371;
Ders., Dauer, Niedergang und Erneuerung klösterlicher Observanz im hoch- und spätmit-
telalterlichen Mönchtum. Krisen, Reform- und Institutionalisierungsprobleme in der Sicht
und Deutung betroffener Zeitgenossen, jetzt in: ebd., S. 509-550; siehe auch Gert Melville,
Zur Funktion der Schriftlichkeit im institutionellen Gefüge mittelalterlicher Orden, in:
Frühmittelalterliche Studien 25,1991, S. 391-417; Ders., ,Diversa sunt monasteria et diversas
habent institutionesf Aspetti delle molteplici forme orgamzzative dei religiosi nel Medioevo,
in: Gaetano Zito (Hg.), Chiesa e societä in Sicilia. I secoli XII-XVI, Torino 1995, S. 324-345;
Ders., Alcune osservazioni sui processi di istituzionalizzazione della vita religiosa nei
secoli XII e XIII, in: Benedictina 48, 2001, S. 371-394.
4 So Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübin-
gen 1972, S. 696f. bezüglich des Mönchtums.
5 Zur Reform eines Ordensverbandes als neu ordnendes singuläres Phänomen siehe Gert Mel-
ville, Justifications of Monastic Reform in the Central Middle Ages, in: Leidulf Melve/
Sigbjorn Sonnesyn (Hgg.), The Creation of Medieval Northern Europe. Christianisation,
Social Transformations, and Historiography: Essays in Honour of Sverre Bagge, Oslo 2012,
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften