Metadaten

Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0104
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
100 I Michael Hänchen und Gert Melville

einen Bereich, dessen Vorhandensein schon m jener vergleichsweise frühen Epo-
che die Forschung bislang eher skeptisch gegenübersteht,12 - den Bereich näm-
lich der formalen Verfahren. Im Prinzip sind diese dort aber durchaus erwart-
bar, da sie - geht man von Niklas Luhmann aus13 - in Systemen „legaler
Herrschaft“ prinzipiell deren Legitimation begründen und sie sich dabei auch
im pragmatischen Sinne von außerordentlicher Steuerungseffizienz zeigen, in-
dem sie zudem die symbolische Darstellung eben der Rationalität dieser Sys-
teme vertreten.
Kennzeichen der formalen Verfahren, die im besonderen Maße auch auf die
Verhältnisse der mittelalterlichen Ordensgeschichte zuzutreffen scheinen, sind -
wiederum ausgehend von Niklas Luhmann:14 die Reduktion der Komplexität
von entscheidungsbedürftigen Vorgängen auf Problemstellungen, die unter ge-
nau definierbaren Sachverhalten subsumierbar waren, des Weiteren die Behand-
lung solcher Vorgänge mit zwar potentiell offenem Ausgang, aber doch unter
Einhaltung festgelegter Regeln, ferner die Autonomie oder zumindest Differenz
ihrer Abläufe gegenüber konditionierenden Strukturen des Umfeldes und
schließlich die Unterscheidbarkeit der Rollen, die gleiche Personen einerseits im
Verfahren und andererseits im sonstigen Leben einnehmen.
Gegenstand und zugleich Produkt von Ordensverfahren waren „Mikroge-
schichten“15, die oft extrem kurz dauerten, die sich dennoch manchmal über meh-
rere Jahre hinzogen, indes zumeist einen eindeutigen Anfang hatten, die ihre Kri-
sen und Umschwünge, Retardierungen oder Stagnationen kannten sowie letztlich
einen sichtbaren Abschluss fanden und sich damit sowohl inhaltlich wie zeitlich
als abgegrenzte Geschichten mit einer ganz eigenen ,Dramatik£ zeigten.
Solche Verläufe folgten generellen verfahrenstechnischen Leitlinien und Re-
geln. Am Anfang standen inquisitorische Erhebungen durch Visitatoren, die ent-
weder von Zentralinstanzen, wie dem Generalkapitel, jährlich in ihr Amt ein-
gesetzt wurden und für einen bestimmten Bezirk zuständig waren (z. B. bei den
Cluniazensern ab dem 13. Jahrhundert) oder die Vorsteher des Mutterhauses des

12 Vgl. Barbara Stollberg-Rilinger, Einleitung, in Dies./Andre Krischer (Hgg.), Herstel-
lung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vor-
moderne, Berlin 2010, S. 9-31, hier S. 11-13.
13 Vgl. Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Frankfurt a. M. 1993, hier besonders
S. 27-37.
14 Ebd., hier vor allem S. 38-53.
15 Zum analytischen Potential solcher „Mikrogeschichten“ siehe schon Winfried Schulze
(Hg.), Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion, Göttingen
1994.; vgl. auch Ders., Mikrohistorie versus Makrohistorie? Bemerkungen zu einem aktuel-
len Thema, in: Christian MEIER/Jörn Rüsen (Hgg.), Theorie der Geschichte, Bd. 5: Histori-
sche Methode, München 1988, S. 319-341.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften