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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0111
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Die Macht formaler Verfahren I 107

Matallana) konnten trotz der Komplexisierung aufgrund der Tatenlosigkeit ei-
niger beauftragter Äbte innerhalb von drei Jahren durch das stets gleich ange-
wandte Verfahren in jeweils vier Schritten gelöst werden. Die drei zeitgleich
laufenden Strafverfahren sind unabhängig von den ursprünglichen Fällen in
eben dieser Verfahrensweise eingeleitet und abgehandelt worden: Tatbestand-
serhebung, Tatbestandsprüfung, Entscheidung und Vollzug. Das Verfahren
mit seinen vier Schritten zeigt sich als wirksamer Regulierungsmechanismus
auch dann, wenn durch Untätigkeit das Verfahren unterbrochen wurde. Solche
Brüche regulierten die Weißen Mönche mit einem weiteren, ordensinternen
Routineverfahren (Strafverfahren). Diese wurden als autonome Verfahren ge-
gen säumige Delegierte zur disziplinarischen Korrektur eingesetzt, was letzt-
endlich den Erfolg in den Hauptverfahren herbeiführte. Ein Vorgang, der re-
gelmäßig vorkam.35 Trotz der Komplexität der Gemengelage in der Region
und des partiellen Versagens der beauftragten Äbte, verblieben diese Fälle ge-
rade durch die konsequente Anwendung von formalen Verfahren und deren
Routinen vollständig innerhalb der systemeigenen Kommunikation. Beson-
ders in der Einbeziehung eben der Äbte, die bemerkenswerterweise selbst in
Konflikte verwickelt oder eines Vergehens beschuldigt waren, sehen wir die
Kriterien der verfahrensgemäßen Rollenunterscheidung, der Autonomie der
Einzelverfahren und des stets mit offenem Ausgang beginnenden Verlaufs in
signifikantem Maße erfüllt.
Verlassen wir nun schrittweise die Ebene der endogenen Verfahrensfüh-
rung. Es sollte zu erwarten sein, interessante Aufschlüsse gewissermaßen
über „Verfahren im Härtetest“ zu erhalten - es soll dabei insbesondere um
Mächte zumindest an den oder jenseits der Systemgrenzen gehen, also um
exogene Störungen, die zumindest nach systemtheoretischer Sicht schwerer
zu behandeln sind als endogene, weil sie von rein autopoietischen Prozessen
kaum erfasst werden bzw. sich ihnen zu entziehen vermögen.36 Doch sogleich
eine Überraschung: Unsere Materialerhebungen für das 13. Jahrhundert erga-
ben, dass die Routinefälle, die - wie gesagt - Zeichen eines reibungslosen
Funktionierens von stabilen Regulierungsmechanismen sind, bei exogenen
Störungen im Cluniazenserorden 80 % und im Zisterzienserorden sogar 90 %
aller Fälle darstellen. Bei beiden Orden waren also Eingriffe von außen fast
35 Dass sich solche sekundären Fälle auch auf dritte und vierte Instanzen ausweiten und erfolg-
reich durch die Verfahren zum Abschluss gebracht werden konnten, zeigt Melville, Ver-
fahren (wie Anm. 1), S. 32-34 (Tabelle), für einen Fall über eine Schuldenbegleichung des
spanischen Klosters Carrecedo, welcher sich über sechs Jahre zog.
36 Vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am
Main 1984, zu Autopoiesis und Selbstreferentialität.
 
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