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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0234
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230 I Julia Burkhardt

men mit der Quantität der von Vincent kompilierten Dominikus-Geschichten
und ihrer Anordnung im Werk trägt auch deren programmatische Qualität im
Speculum historiale zu einer (wenngleich impliziten) Stärkung und Hervorhe-
bung der Dominikaner gegenüber den Franziskanern bei - eine Strategie, die
sich in zahlreichen dominikanischen Werken vor allem „der zweiten Ordensge-
neration“ finden lässt.
In der einschlägigen Forschung ist dies als Beitrag zu einer dominikanischen
„Erzähl-Gemeinschaft“ oder einer „imagined community“ der Dominikaner
gewertet worden.27 Die gemeinschaftsbildende Funktion exemplarischen Er-
zählens lässt sich somit sinnvoll als narrative Praktik gemeinsam mit jenen sozi-
alen Praktiken denken, denen eine signifikante Bedeutung für die Formierung
sozialer Gemeinschaften zuzuschreiben ist, wie Christina Lutter jüngst ge-
zeigt hat.28
Das Schrifttum des 13. Jahrhunderts wies eine beachtliche Quantität und
Vielfalt exemplarischen Erzählens auf. Die Funktionalität der einzelnen Ge-
schichte, aber eben auch ihre Bedeutung in der überliefernden Textsammlung
lassen sich unter Berücksichtigung verschiedener Bedeutungsebenen erschlie-
ßen. Dies zeigt sich schon bei der Ausgestaltung des „durchschnittlichen Exem-
pel-Formats“, welches von der Nennung berühmter zu anonymen Bezugsperso-
nen oder von vornehmlich lebensweltlichen zu theologischen Bezügen variieren
und verschiedene moralische Anknüpfungsmöglichkeiten zur Erbauung bis hin
zur Erheiterung einschließen konnte. Den meisten exemplarischen Erzählungen
gemeinsam war indes der Fokus auf Ereignisse und Normvorstellungen, die
in der Vergangenheit wurzelten, aber zeitunabhängig Geltung beanspruchen
konnten. Daraus ließen sich Leitideen oder Handlungsvorbilder extrahieren, die
auch in der Gegenwart und schließlich in der Zukunft gelten sollten. Ausschmü-
ckung und Abstraktionsgrad der jeweiligen Episode hingen ganz wesentlich von
der Nutzungsabsicht und mithin der Konzeption der übergeordneten Text-
sammlung durch den jeweiligen Autor oder Kompilator ab. Dieser suchte durch
die Sammlung und Zusammenfügung passender Geschichten seine Sicht auf die
Welt zu präsentieren - in der „kleinen“, regionalen und alltagsbezogenen Per-
spektive eines Thomas von Cantimpre oder Jakob von Vitry ebenso wie im Hin-
blick auf das „große Ganze“ der Schöpfung wie bei Stephan von Bourbon oder
hann, Mendikantische Gründungserzählungen im 13. und 14. Jahrhundert. Mythen als Ele-
ment institutioneller Eigengeschichtsschreibung der mittelalterlichen Franziskaner, Domi-
nikaner und Augustiner-Eremiten (Vita regularis. Abhandlungen 49), Berlin 2012, hier
S. 405.
27 Zur „Erzähl-Gemeinschaft“ s. Wesjohann, Mendikantische Gründungserzählungen (wie
Anm. 26), S. 313-319, sowie Winkler, Building the imagined community (wie Anm. 11).
28 Lutter, Social Groups (wie Anm. 11).
 
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