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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0241
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Außerhalb oder innerhalb? I 237

Es wird deutlich, dass Jakob von Vitry die Mönche, obwohl er sie in den Vor-
dergrund seiner Beobachtungen stellt, nicht als von den Weltpriestern, die den
letzten Teil seines Werkes einnehmen, radikal isoliert sieht. Zwischen diesen
beiden Polen sei der Fortschritt geordnet und kontinuierlich. Der Autor hat Ge-
spür für die Unterschiede zwischen Orden, aber auch für das, was sie verbindet.
Die Anforderungen der Regel (religio) und des Gemeinschaftslebens charakteri-
sieren eher die Mönche und die Regularkanoniker, während das pastorale Enga-
gement den Regularkanonikern eigen sei, unter denen die Prediger und nun der
neue Orden der Minderbrüder und der Weltklerus seinerseits eher sakramentale
Funktionen haben.
Kurz gesagt: Alle „Berufungen“ werden in der Kirche, entlang eines zeitlichen
wie auch institutionellen Bogens erfüllt, der von den Anachoreten der Urkirche
bis hin zu den Bettelorden der Gegenwart Mönche, Regularkanoniker, neue Re-
ligiösen, Säkularkanoniker und -priester zusammenführt. Jede Gruppe ist ver-
schieden, aber keine steht für sich allein. Die Begriffe ordo und religio gelten für
alle (sogar für die Weltkleriker) und gleichzeitig helfen sie zu unterscheiden, denn
sie ermöglichen es, die Formen religiösen Lebens zu differenzieren.
„Die verschiedenen Orden, die es in der Kirche gibt"
Die von Jakob von Vitry beschriebenen institutionellen Realitäten - Mönche,
Kanoniker, Regular- und Weltklerus, die ganze Kirche - überraschen uns nicht;
dem Historiker sind sie vertraut. Und doch sollten uns die Begriffe Kirche,
Klerus, Mönche überraschen, stellen sie doch eine prinzipielle Eigenheit der
Christenheit dar. Es ist zum Beispiel bemerkenswert, dass das gleiche Wort, ec-
clesia, sowohl die Universalkirche, d. h. die christliche Gesellschaft im Allge-
meinen, als auch innerhalb derselben die kirchliche Institution bedeuten kann,
die allein von den Spezialisten des Sakralen verwaltet wird, unter denen Jakob
Mönche, Regularkanoniker, Weltkleriker unterscheidet, die alle eine ecclesia im
Sinne eines Sakralbaus leiten, sei es eine Abteikirche oder eine Pfarrkirche4.
Wenn wir überrascht sein sollten, dann deshalb, weil es in den alten paganen
Religionen, die dem Christentum vorausgingen, dem Judentum, dessen Erbe es
zum Teil angetreten hat, oder im Islam, der sich an dessen Rand oder zu seinem
Nachteil entwickelt hat, nichts mit der Kirche, dem Klerus oder dem Mönchtum
Vergleichbares gibt: Wenn auch im schiitischen Zweig des Islams mit seiner
4 Zur Ambivalenz der Kirchenvorstellungen siehe: Dominique Iogna-Prat, La Maison-Dieu.
Une histoire monumentale de l’Eglise au Moyen Age, Paris 2006.
 
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