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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0045
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II. Das Werk

Tatsächlich erlaubt es ein solch umfassender Zugang, neben der narrativ-illustra-
tiven Funktion des Exempels als Medium einer leicht zugänglichen Rhetorik weitere
Sinn- und Funktionsebenen zu berücksichtigen. Ins Zentrum der Untersuchung kön-
nen dann nicht nur die Aussage der jeweiligen Geschichte, sondern auch der Autor
bzw. Kompilator, die Konzeption seines Werkes im Kontext zeitgenössischer Debat-
ten oder Ereignisse und schließlich die Einbettung von Exempeln darin rücken.
Diese vielschichtige Perspektive lässt sich mithilfe des Begriffs „exemplarisches
Erzählen“ zum Ausdruck bringen. Methodisch wurde dieser Terminus bereits in ei-
nem anderen Zusammenhang, nämlich in den Arbeiten Jörn Rüsens zu Geschichtsbe-
wusstsein und seiner Typologie jeglicher Sprachhandlungen über die Vergangenheit,
maßgeblich elaboriert.20
Rüsen versteht historisches Erzählen zunächst ganz grundsätzlich als eine Metho-
de, „Zeit als Handlungsabsicht und Zeit als Handlungsbedingung“ in den „Zusam-
menhang einer Orientierung der menschlichen Lebenspraxis“ zu bringen.21 Vor die-
sem Hintergrund unterscheidet er vier grundlegende „Typen historischen Erzählens“,
die freilich nicht absolut voneinander abzugrenzen sind, sondern sich wechselseitig
beeinflussen und gemeinsam einen Erkenntnisprozess formieren.22 Zu ihnen gehört
auch das „exemplarische historische Erzählen“, das an „Sachverhalte der Vergangen-
heit [erinnert], [welche] die Regeln gegenwärtiger Lebensverhältnisse konkretisie-
ren“.23 Entscheidend für Rüsen ist just dieser Bezug auf bestimmte Regeln und Nor-
men, formuliert sich das exemplarische Erzählen doch „in Geschichten, die zeitliche
Veränderungen der Vergangenheit auf regelhafte Vorgänge hin durchsichtig ma-
chen.“ Durch diese Geschichten würden Erfahrungen in der Gegenwart als vergleich-
bare Vorgänge oder Ereignisse verstehbar und nachvollziehbar gemacht.24

Schürer drei Funktionsebenen von Exempeln, nämlich 1. eine eschatologische Perspektive; 2. das
Medium der Wissenstransformation und 3. eine kommunikative Qualität. S. Schürer, Beispiel im
Begriff, S. 211-220.
20 Rüsen, Vier Typen; Rüsen, Historisches Erzählen. Für eine Weiterentwicklung seiner Ansätze vgl.
Krameritsch, Die fünf Typen. S. für einen alternativen Zugang Grubmüller, Exemplarisches Er-
zählen.
21 Rüsen, Historisches Erzählen, S. 58.
22 Rüsen, Vier Typen, S. 171-191. Neben dem exemplarischen Erzählen sind dies 1. traditionales
Erzählen (im Sinne einer Erneuerung und Bekräftigung des Ursprungs von Handlungsregelungen
als Sinnstiftung), 2. kritisches Erzählen (auch im exemplarischen Erzählen angelegt; es zeichnet
sich aus durch eine historische Urteilskraft, die Handlungsregeln am Material der Erinnerung kon-
kretisiert und so zu neuen Erzählweisen führt) und 3. genetisches Erzählen (Kontinuitäten werden
hier über Veränderungen gebildet).
23 Rüsen, Historisches Erzählen, S. 60. Vgl. dazu auch Schürer, Das Exemplum, S. 219, der als
Grundprinzip exemplarischen Erzählens die „Propagierung von Denk- und Handlungsmustern
durch die Erinnerung des historisch verbürgten Regelhaften“ benennt.
24 Rüsen, Vier Typen, S. 181.
 
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