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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0059
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II. Das Werk

Stachellosigkeit. Um Raserei, Zorn und Rachsucht von vorneherein zu vermeiden,
habe die Natur nur die einfachen Bienen, nicht aber den König mit einem Stachel
ausgestattet. Dieser könne folglich nicht stechen und auch nicht am Stich sterben -
ein Szenario, das sich Seneca in dramatischen Worten auch für die eigene Gegenwart
wünschte: „Ach wenn doch dasselbe Gesetz für den Menschen gelten würde und der
Zorn mit seiner Waffe gebrochen würde: weder wäre es erlaubt, öfter als einmal zu
schaden noch dem Hass mit fremden Kräften freie Bahn zu lassen“.79
Mit der Rückübertragung der beobachteten Naturverhältnisse auf die eigenen so-
zialen Umstände - in diesem Fall: mit dem Verweis auf die Führungsrolle des Bie-
nenkönigs als Argument für die Qualität monarchischer Ordnungen in Welt oder
Kirche - schuf Seneca eine wirkmächtige Vorlage. In den folgenden Jahrhunderten
und vor allem im Hochmittelalter diente seine Bienenallegorie immer wieder der
Legitimation oder Stützung monarchischer Herrschaftsstrukturen. Während dabei
zumeist die an Bienen beobachteten hierarchischen Prinzipien oder Tugenden wie
Fleiß und Folgsamkeit im Mittelpunkt standen, wurden die Grenzen der allegori-
schen Übertragbarkeit kaum thematisiert. Dies überrascht kaum, denn immerhin hät-
ten Verweise auf die Sicherung der Alleinherrschaft durch Gewalt, etwa mit der Tö-
tung überzähliger Bienenkönige, auch eine Gefährdung des Monarchen durch die
Gemeinschaft oder vice versa implizieren können.80
Weitere Bedeutungsebenen erhielten die Überlegungen zur Bienengemeinschaft
schließlich durch christliche Interpretationen. So wurde etwa das Bild der Partheno-
genese, also der eingeschlechtlichen Fortpflanzung der Bienen, als christliches Sym-
bol der jungfräulichen Geburt gedeutet.81 Unter Bezugnahme auf dieses Verständnis
sowie auf biblische Vorstellungen von der „Honigsüße des göttlichen Worts“ oder der
heilenden Funktion des Honigs entwickelten seit dem frühen Mittelalter vor allem
Religiöse und Kleriker das Idealbild der Bienengemeinschaft weiter. Beispielsweise
verglich der heilige Ambrosius von Mailand (339-397) Bienenwaben mit guten Pre-
digten als Grundlage der Kirche und den Honig mit der von Propheten und Bienen
zusammengetragenen geistigen Nahrung.82 Als Attribute von Ambrosius prägten
Biene und Bienenkorb die christliche Ikonographie, aber auch die Liturgie wesentlich
mit.83 In der Lebensdarstellung des Ambrosius (entstanden um 412/13) hatte Paulinus
79 Utinam quidem eadem homini lex esset et ira cum telo suo frangeretur nec saepius liceret nocere
quam semel nec alienis viribus exercere odia! Sen. clem. 1,19,4. Eigene Übersetzung.
80 Peil, Bienenstaat, S. 209ff. sowie S. 215f. S. außerdem dem Kommentar bei Seneca, hg. Braund,
S. 341-343.
81 S. hierzu Brückner, Art. „Bienen“, Gindele, Bienen-, Waben- und Honigvergleiche sowie Misch,
Apis est animal, S. 34-51.
82 Ambr. in psalm. 118 serni. 13, 23: [...] tu enim dixisti: faui mellis sermones boni. et uere bonus
faus quem manducat ecclesia multorumprophetarum uelut apum spiritali ubertate congesta mella
redolentem. S. auch Gindele, Bienen- Waben- und Honigvergleiche, S. 5.
83 So entstanden beispielsweise Gebetstexte zum Lob von Bienen oder Bienenwachs als dem Material
der Osterkerze (laudes cerei). S. dazu mit Beispielen Misch, Apis est animal, S. 52-63.
 
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