Metadaten

Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0060
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
II.2. Bienen und Ameisen als Sinnbild der vollkommenen Gemeinschaft

59

von Mailand nämlich berichtet, dass sich in dessen Kindheit ein ganzer Bienen-
schwarm auf Ambrosius’ Gesicht niedergelassen habe.84 Dann seien sie durch Amb-
rosius’ geöffneten Mund wie in einen Bienenkorb ein- und ausgeflogen und hätten in
dessen Körper Honig zubereitet. Mithilfe seiner Diener habe auf diese Weise Gott am
Kind gewirkt, um dessen Befähigung zu Predigt und religiösen Schriften auszuwei-
sen.85 Die Bienen erscheinen hier in einer doppelten Funktion: als Symbol für die
Mehrung des nahrhaften und guten Honigs, der seinerseits die Weisheit repräsentiert,
sowie als Zeichen einer besonderen göttlichen Hinwendung.
Neben solchen vornehmlich positiven Vorbildern gab es aber durchaus auch nega-
tive Ausdeutungen der Bienengemeinschaft, etwa in biblischer Tradition als feindli-
ches Volk oder unter Verweis auf die unter den Tieren geführten Kriege und Ausein-
andersetzungen.86
Bereits die knappe Gegenüberstellung antiker und frühmittelalterlicher Deutun-
gen offenbart eine beachtliche Vielschichtigkeit der Bienenthematik: Die Tierge-
meinschaft erscheint als Referenzsystem, als Repräsentation sowie schließlich als
religiöse Symbolik. Diese unterschiedlichen Nuancierungen finden sich auch in etli-
chen hoch- und spätmittelalterlichen Werken; die „klassischen“ Schriften Vergils,
Senecas oder auch Ambrosius’, die in jener Zeit gut bekannt waren, hinterließen da-
rin deutliche Spuren.
IL2.2. Das Zusammenwirken der Bienen: Der Policraticus des Johannes
von Salisbury
Der wohl bekannteste hochmittelalterliche Entwurf einer Bienengemeinschaft als
Vorbild für menschliche Lebensformen stammt aus der Feder des englischen Gelehr-
ten und Geschichtsschreibers Johannes von Salisbury. Johannes wurde um 1120 in
der Nähe des englischen Salisbury geboren. Nach seinem Studium bei berühmten
84 S. zur Autorenfrage Paredi, Paulinus of Milan.
85 Pavl. Med. vita Ambr. 3: Qui [=Ambrosius] infans in areapraetorii in cunapositus, cum dormiret
aperto ore, subito examen apum adveniens faciem eins atque ora conplevit, ita ut ingrediendi in
os egrediendique vices frequentarent. Quae pater, qui propter cum matre vel filia deambulabat,
ne abigerentur ab ancilla, quae curam nutriendi susceperat, prohibens (sollicita enim erat ne
infanti nocerent), exspectebat tarnen patrio affectu, quo fine illud miraculum clauderetur. At illae
post aliquandiu evolantes in tantam aeris altitudinem sublevatae sunt, ul homanis oculis minime
viderentur. Quo facto territuspater ait: “Si vixerit infantulus iste, aliquidmagni erit. ” Operabatur
enim iam tune Dominus in servuli sui infantia, ul inpleretur quod scriptum est: Favi mellis ser-
mones boni. Illud enim examen apum scriptorum ipsius nobis generabat favos, qui caelestia dona
annuntiarent et mentes hominum de terrenis ad caelum erigerent. S. dazu auch Gindele, Bienen-
waben- und Honigvergleiche, S. 8 sowie Opelt, Das Bienenwunder.
86 Beispiele für biblische Negativdarstellungen sind Dt 1,44 oder Is 7,18. S. hierzu auch Peil, Bienen-
staat, S. 276. Eine Vorlage findet sich bereits bei Vergil, der über Kriege zwischen Bienengemein-
schaften berichtete: Verg. georg. 4, 67-94.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften