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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0088
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II.3. Die ideale Gemeinschaft

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Zuhörer als alle Lehrer der Stadt, und als er einmal in der Schule in Gegenwart aller
eine Untersuchung über die höchste Demut der Lehre Christi nach Abhalten einer
Erörterung beendete, war er am Ende schließlich einem verwerflichen Gefühl hinge-
geben und brach in verfluchenswerte Worte der Gotteslästerung gegen Christus aus.
,Es gibt‘, sagte er, ,drei, welche die Welt ihren Sekten und Dogmen unterwerfen:
Moses, Jesus und Mohammed. Zuerst hat Moses das jüdische Volk betört; dann Jesus
Christus, nach dessen Namen die Christen benannt sind, und schließlich hat Moham-
med ein heidnisches Volk betört/“201
Die erste Strafe für sein lästerliches Verhalten trifft Simon unvermittelt: „Anstelle
einer menschlichen Stimme“, so berichtet Thomas, „stieß er ein Rinderbrüllen aus
und wurde sofort von einem Krampfanfall zu Boden geschmettert.“ Drei Tage später
folgt eine weitere Strafe, die Simon seiner „Waffe“, nämlich der Worte und Sprache,
beraubt - Gott nimmt ihm jegliche Schrift- sowie auch Schreibkenntnis: „Und er
wurde mit dieser Plage freilich noch schwerer in der Seele getroffen, weil er bis zum
Tag seines Todes wie stumm war; ,er war törichten Lasttieren vergleichbar4 und ver-
harrte in der Schändlichkeit seiner Genusssucht.“202 Diese Geschichte verdeutlicht
auf drastische Weise grundlegende Gesetzmäßigkeiten von Thomas’ Gemeinschafts-
entwurf: Über die Maßgaben eines sozialen Miteinanders darf niemand erhaben
sein - und falls die auf der Welt und in der Schöpfung Gottes bestehenden Grenzen
doch einmal überschritten werden, droht die Strafe entweder von einer weltlichen
oder geistlichen Instanz auf Erden oder schließlich vom strafenden Gott selbst.
Die Allegorie der Bienen liefert für diese Mechanismen ein im wahrsten Sinne des
Wortes natürliches Vorbild. Mit der von Gott geschaffenen Naturordnung tritt dem
Leser / Zuhörer ein klares Sozialgefüge mit eigenen Gesetzen vor Augen, deren Befol-
gung mit Integration und (biologischem) Fortbestand, ihre Nichtbefolgung hingegen
mit dem Ausschluss aus der Gemeinschaft und ggf. mit dem Tod zu assoziieren sind.203
201 Thom. Cantimpr. BUA 11,48,5: Magister Symon de Tornaco Parisius in theologia regebat et erat
excellens Ule suo tempore, sed contra decentiam talis officii supra modum incontinens et superbus.
Hie, cum super omnes doctores civitatis auditores haberet, et in scola coram omnibus de humili-
tate altissime doctrine Christi questionem disputatione prehabita terminaret, in fine landein datus
in reprobum sensum in execranda contra Christum blasphemie verba prorupit. Tres sunt, inquit,
qui mundum sechs suis et dogmatibus subiugarunt: Moyses, Ihesus, Mathometus. Moyses primo
ludaicum populum infatuavit, secundo Ihesus a suo nomine Christianos, tertio gentilem populum
Machometus.
202 Thom. Cantimpr. BUA 11,48,5: Nec mora eversis oculis pro humana voce mugitum emisit et epi-
lepsia statim elisus in terram, tertio eiusdem morbi vindictam accepit. Plaga ergo insanabili eum
percussit omnipotens et omni scientia usque ad prima litterarum elementa privavit. Et graviori
quidem in anima cum hac plagapercussus est, cum usque in diem mortis sue quasi mutus compa-
ratus est iumentis insipientibus et in luxurie feditatepermansit.
203 Zu Ordnungsmodellen der Natur s. Grieco, Social Order of Nature, French/Cunningham, Before
Science sowie neuerdings die Beiträge in Von Natur und Herrschaft, hg. Carron et. al. S. zudem
Pollini, La nature.
 
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