Metadaten

Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0089
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
88

II. Das Werk

In deutlicher und aufgrund der verwendeten Exempel eindrucksvoller Weise werden
gemeinschaftliche Normen gesetzt sowie Ahndungsmodalitäten für Verstöße dage-
gen definiert.204
Die scheinbare Eindeutigkeit der hier suggerierten Bewertungsmaßstäbe („gutes“
vs. „schlechtes“ Verhalten“) wird jedoch im langen Schlusskapitel über die Dämonen
grundlegend erschüttert. Im Mittelpunkt der Abhandlungen über die Wespen als na-
türliche Gegner der „guten Bienen“ demonstriert Thomas die Vielschichtigkeit der
Herausforderungen an das menschliche Leben ebenso wie deren Unerklärlichkeit
oder ihre Unlösbarkeit. Nach den langen Versuchen der Normversicherung im ge-
samten „Bienenbuch“ macht sich nun, im 69 Unterkapitel umfassenden letzten Kapi-
tel des Werkes, eine erhebliche Unsicherheit breit. Diese betrifft nicht nur Form und
Aufreten der Dämonen, sondern auch die Konsequenzen ihres Wirkens. Weder las-
sen sich nämlich Dämonen, die Sinnbilder für Erschütterungen des sozialen Mitein-
anders, stets eindeutig erkennen, noch kann ihr Handeln durch ein gottesfürchtiges
Leben zwangsläufig abgewendet werden. Stattdessen bringen ihre Vielgestaltigkeit
und die Vielschichtigkeit ihres Wirkens die menschliche Welt ins Wanken.
Dieser Befund überrascht umso mehr, als Thomas von Cantimpre in den ersten
Unterkapiteln jegliche dämonische Erscheinung noch als Instrument des strafendes
Gottes darstellt: Das schreckliche Wirken von Dämonen ist hier nur mit göttlicher
Erlaubnis möglich und deshalb auch der menschlichen Erkenntnis einsichtig.205 Diese
Interpretation passt zum bisherigen Narrativ und bietet Raum für Korrektive sowie
für Optionen des Einzelnen, sein Handeln im Sinne eines vorbildlicheren Lebens zu
verbessern; eine Chance auf Besserung haben folglich Christen oder sich zum Chris-
tentum bekehrende Heiden, die sich um Treue, Maßhaltung und aufrichtige Einhal-
tung der Glaubensgebote bemühen.
Die damit verbundene fundamentale Gewissheit, also die Einsicht in ein klares
Normengefüge und die Möglichkeit, das eigene Leben daran auszurichten und darin
einzupassen, wird jedoch mit dem Fortgang der Erzählung zunehmend aufgelöst.
Das Erscheinen der Dämonen ist, so bilanziert Thomas, nicht immer erklärlich oder
verständlich; dennoch ist seine Beschreibung unerlässlich, um anderen Menschen ein
(abschreckendes) Vorbild zu vermitteln.206 In BUA 11,57,18 beispielsweise wird die
204 S. hierzu Backes, Yolanda von Vianden, S. 52-53.
205 S. Thom. Cantimpr. BUA 11,57,1: ... demones illos significant, qui ultionepermittente divina tem-
pestatibus aeris et tonitruis se immiscent et in hiis intrent homines, dampnificant et occidunt, ebd.,
11,57,4: Ad occisionem vero hominum, qualiter permittente Deo cooperentur demones, audiamus',
ebd. 11,57,7: Nichil tarnen dyabolus, sicut dicit beatissimus Augustinus, vel nocte vel die polest, nisi
permissus.
206 Thom. Cantimpr. BUA 11,57,22: Quis non obstupescat in tarn videlicet explicabilem casum, re-
rum ordinem et rationem nature super id, quod estimari poterit, variari? Ego quidem talia fieri,
permittente occulto Dei iudicio, per operationem demonum nee inficior nee confirmo, sed quia
obicientibus talia et verissima assertione firmantibus subterfugere dissimulatione non potui, ista
mihi narrata et inculcata conscripsi et aliis discutienda reliqui.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften