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Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 2): Analyse, Edition, Übersetzung und Kommentar — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.53742#0340
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BUA 11,10

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[18] Siehe also, Leser, wie die Mutter der Wahrheit dies auf
allerwahrhaftigste Weise gesagt hat. Wir haben, vor allem in der Frühzeit
des Predigerordens, gesehen und sehen auch jetzt noch, wie unerfahrene
junge Männer, die verwöhnt sind und frisch aus der Welt kommen, die
Länder durchreisen, zu Gefährten verbunden, unter den Schlechten nicht 5
verkommen, Unschuldige unter Schuldigen, „ehrlich wie die Tauben“ unter
den auf listenreichste Art Böswilligen, dennoch klug „wie Schlangen“, die
zum eigenen Schutz umherziehen. Wer wundert sich nicht, dass einst und
mehr noch heute diese Jungen inmitten des Feuerofens nicht von glühenden
Feuern verbrannt werden, während die Religiösen der anderen, den 10
weltlichen Wirrungen am meisten entzogenen Orden kaum ohne größte
Gefahren entkommen, wie wir sehr häufig gesehen und gehört haben? Jene
werden von ihren Mühen geängstigt und von verschiedenen Aufgaben
zerrissen, und dennoch verharren sie ungebeugt; diese aber widmen sich
dem geistigen und körperlichen Wohl und wanken. Und wem ist das 15
zuzuschreiben? Doch nicht der Tugend? Nicht im Geringsten, sondern der
Mutter Christi. Wenn sie aber fallen, weil sie Geist und Fleisch sind und
nicht die Säulen des Himmels (die nämlich Maria ist), stützen sie sich auf
den zerbrochenen Rohrstab Ägyptens. Damit diese Dinge in einem Beispiel
deutlich werden, erzählen wir ein höchst augenscheinhches Wunder. 20
[19] Wir haben einen Bruder im Predigerorden aus dem Haus in Brügge in
Flandern gesehen, Ravennus mit Namen, einen jungen Mann, der mit
scharfem Verstand begabt und in den weltlichen Wissenschaften der Schrift
bewandert war.21 Sobald er dem Orden beigetreten war, begann er
hartnäckig das Studium der Theologie zu betreiben. Aber weil sein Verstand 25
noch nicht erleuchtet oder durch Gebete vorbereitet war, erstarrte er vor dem
Licht und sein wenig fähiger Geist wogte im Wind der Unbeständigkeit; ihn
ergriff der Gedanke, darüber diskutieren zu wollen, welche der Sekten der
Heiden, Juden oder Christen von einem mächtigeren Dach der Wahrheit
aufrecht erhalten werde. Er sah freilich bei den Heiden und Philosophen, 30

2}Die Gründung des Dominikanerklosters in Brügge erfolgte um 1233 durch Johanna von
Konstantinopel (1199/1200-1244), Gräfin von Flandern, die damit eine testamentarische
Verfügung ihres Mannes Ferdinand I. (gest. 1233), Graf von Flandern, realisierte. 1234 wurde
die Gründung auf dem Generalkapitel in Paris bestätigt. S. hierzu MEERSSEMAN, Les debuts, S.
10-13 sowie MEERSSEMAN, Jeanne de Constantinople, S. 145-153. Die Identifizierung des
Ravennus ist bislang nicht gelungen.
 
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