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Maul, Stefan M.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 10, Teilband 1): Einleitung, Katalog und Textbearbeitungen — Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.57036#0033
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20

Bannlösung (nam-erim-bür-ru-da)

auf den ersten Blick im Widerspruch zu dajenigen. die von dem
Gedanken der machtvollen Unheilsaustreibung bestimmt ist. In
Wahrheit sind in den Bannlösungsverfahren beide Erzählstränge
kunstvoll miteinander verwoben.262
In den aufwendigeren Bannlösungsverfahren werden dem
Bann durch Kleidung und Ausstattung des ihn darstellenden
Figürchens, durch die ihm zukommende Hege und Pflege und
den Umgang mit ihm gleich mehrere Identitäten zugewiesen.
In der komplexen Textur des therapeutischen Geschehens
bestimmen sie parallel verlaufende Erzählstränge, die an den
wichtigen Wendepunkten wie bei der Unschädlichmachung und
der Beseitigung des Banns wieder zusammengeführt werden.
In den meisten Bannlösungsverfahren erhielt das Bild
des Banns die äußere Gestalt einer Braut.263 Im Verlauf des
Therapiegeschehens sollte der (zuvor unschädlich gemachte)
Bann als Braut geehrt und beschenkt und mit dem Menschen,
auf dem der Bann lastete, in einem Ritus verehelicht
werden, der als symbolischer Akt auch im Alltagsleben eine
Eheschließung rechtskräftig besiegelte. Das Gewand des
Figürchens und das des Patienten wurden dabei durch einen
Knoten miteinander verbunden. Man drängte den Patienten so
dazu, das Urteil der Götter, ihn mit einem Bann zu belegen,
anzuerkennen, sich seiner Schuld und seiner Krankheit zu
stellen und als grundlegende Störung wahrzunehmen. Diese
therapeutischen Formen trugen ohne Zweifel dazu bei. die
Selbstheilungskräfte des Patienten zu stärken, indem sie ihm
neue Einsichten. Erfahrungen und Verhaltensmöglichkeiten
eröffneten. Das Urteil der Götter, einen Menschen unter einen
Bann zu stellen, wurde in der in Szene gesetzten Narrative
von der Braut im wahrsten Sinne wie der gordische Knoten
aufgelöst. Indem der Heiler den Knoten der Gewänder, der den
betroffenen Menschen an den brautgestaltigen Bann kettete,
zerschnitt, vollzog er. wie es auch im zivilen Leben üblich
war. die Scheidung, freilich nicht ohne daß der Patient den
Bann zuvor ausgezahlt und damit dessen Ansprüche befriedigt
hätte. Es bedarf keiner großen Phantasie sich vorzustellen, daß
dieser Akt seine befreiende Wirkung auf den Patienten nicht
verfehlte, da er ihm doch das Gefühl vermitteln konnte, seine
Schuld getilgt zu haben und von dem ihn peinigenden Bann
rechtskräftig geschieden worden zu sein.
Der personifizierte Bann konnte darüber hinaus mit Riten
umsorgt und mit Gaben versehen werden, die sonst nur in
Verfahren Verwendung fanden, die derAbwehrvonDämonenoder
von Totengeistem dienten, welche auf der Erde umherirrten und
Schaden anrichteten. So wurde bisweilen dem brautgestaltigen
Bann über drei Tage hinweg eine Suppe serviert.264 mit der man
sonst einen der Unterwelt entflohenen Totengeist zu speisen
pflegte. Auf diese Weise zufriedengestellt wurde dann das
tönerne Abbild des Banns wie ein zu beseitigender Totengeist
mit Wegzehrung und Schuhwerk versehen, auf die Rückreise
262 Die Narrative des Rechtsaustrags fehlt vollständig in der
Therapiebeschreibung 3 (Text Nr. 11).
263 So in Text Nr. 1-2; in Text Nr. 3; in Text Nr. 4-10 und in Text Nr. 14-15.
In den erhalten gebliebenen Therapiebeschreibungen ist der Patient
stets als Mann gedacht, obgleich Bannlösungsverfahren auch für Frauen
durchgeführt wurden (siehe S. Parpola. SAA 10. 162-163. Text Nr.
201). Man darf annehmen, daß in diesen Fällen die Bannfigur statt einer
weiblichen eine männliche Gestalt erhielt. Auch in dem in Text Nr. 11
beschriebenen Bannlösungsverfahren sollte der Bann wie in einem
Verfahren zur Abwehr eines Dämons oder eines Totengeistes in dem
Figürchen eines Mannes inkamieren. der auf die Reise in die Unterwelt
geschickt wurde. Gleiches gilt für Text Nr. 48-51.
264 Siehe Text Nr. 1-2. 15' und Text Nr. 4-10. 7-8 und 9".

ins Jenseits geschickt, ordnungsgemäß bestattet und so aus dem
Lebensraum der Menschen entfernt.265
Hierzu paßt, daß die Heiler auch Bannlösungsverfahren
überlieferten, die sowohl gegen einen Bann als auch gegen einen
Totengeist eingesetzt wurden,266 und Medikamente verordneten,
die Beschwerden lindem sollten, welche man auf die Einwirkung
eines Banns oder aber eines Totengeistes zurückführte.267
In aufwendigeren Bannlösungsverfahren beschenkte man
überdies den personifizierten Bann mit einer Reihe von Präsenten,
die sonst ausschließlich der mordgierigen Dämonin Lamastu
zugedacht waren.268 In dem brautgestaltigen Bann mit dem
Charakter eines Totengeistes erkannte man auf diese Weise auch
noch eine Erscheinungsform der Lamastu. Um den zu heilenden
Menschen zu schützen, pflegte man aus diesem Grand - ganz so
wie in den Ritualen zur Abwehr der blutrünstigen Dämonin - dem
personifizierten Bann Ersatz für seinen Anspruch auf Fleisch und
Blut des Patienten zu geben, indem man ihm Herz und Blut eines
frisch geschlachteten Ferkels präsentierte.269 Dem Bann kam so
nicht allein die Rolle einer ausgezahlten geschiedenen Ehefrau
zu. sondern auch die eines zufriedengestellten Wiedergängers
und eines mit der Macht von Ea und Asalluhi in die Unterwelt
zurückgetriebenen Dämons.
Darüber hinaus wurde die Macht, die ein Bann über einen
Menschenerlangte.nichtseltenmitderMacht gleichgesetzt, dieman
durch Schadenzauber über einen Menschen gewinnen zu können
glaubte.270 Aus diesem Grund finden sich auch Beschreibungen
ursächlicher Behandlungen von Bann und Schadenzauber271
sowie Rezepte zur Herstellung von Medikamenten, die sowohl die
von einem Bann hervorgerufenen Symptome bekämpfen sollten,
als auch die. die auf Schadenzauber zurückgeführt wurden.272
In den Bannlösungsverfahren war der Patient stets als Akteur
in das Therapiegeschehen miteinbezogen. Während er in man-
chen Fällen, so wie oben geschildert, unmittelbar dem perso-
nifizierten Bann gegenüberzutreten hatte.273 wird in anderen
ein abweichendes Vorgehen empfohlen.274 Bei dieser Variante
der Heilbehandlung war keineswegs angestrebt, das mit dem

265 Siehe dazu auch die Kommentare zu Text Nr. 1-2. 4'-5'. 6'-7'. 8'. 13'.
14-15'. 3". 24" und 25”-26”; zu Text Nr. 4-10. 36 und 80; zu Text
Nr. 11. 11 und 16 sowie zu Text Nr. 40-44. 34-74 und 59-60.
266 So Text Nr. 12 und Text Nr. 15.
267 Siehe die Rezepte, die aus Text Nr. 73-74 sowie aus Text Nr. 75 und
aus Text Nr. 78. 18-32 bekannt sind. Vgl. außerdem z. B. BAM 161.
Kol. III. 10 -14' (Trank mit 7 Kräutern gegen Bann. Schadenzauber und
Totengeist) sowie BAM 228. 1-22 und // BAM 229 (Herstellung eines
Spülmittels).
268 Siehe Text Nr. 1-2. 6-7’; Text Nr. 3. 16-17 und Text Nr. 4-10. 5-6. Vgl.
ferner die Kommentare zu Text Nr. 1-2. 6 -7'. 13'. 14 -15'. 24" und
25”-26” sowie zu Text Nr. 4-10. 65-80.
269 Siehe Text Nr. 1-2. 25”-26” sowie ferner Text Nr. 14-15. 11 und 26.
270 Siehe z. B. Text Nr. 4-10. 84-85. 94 und 101; Text Nr. 38-39. 29' und
10"; Text Nr. 55-62. a+27; Text Nr. 63. 14' sowie den Kommentar zu Text
Nr. 66. 1-3'.
271 Siehe T. Abusch. D. Schwemer. CMAwR 1. 6f.. 56-59; ebd.. 120. 35'f.;
ebd.. 288. 116 und passim.
272 Siehe T. Abusch. D. Schwemer. CMAwR 1. 6f. und z. B. ebd.. 56; 224
unten; 234. 51'"—62'"; 238. 21-22 und unten 1-3 sowie 241. 8-17.
Außerdem wurden auch Amulette empfohlen, die gleichzeitig Schutz vor
Bann und Schadenzauber bieten sollten (siehe A. Schuster-Brandis. Steine
als Schutz- und Heilmittel. 100-102 zu “Kette 49-51").
273 So Text Nr. 1 und Text Nr. 4-10.
274 So Text Nr. 2; Text Nr. 3 und Text Nr. 12. Vgl. auch Text Nr. 14-15. Ein
entsprechendes Vorgehen bot sich wohl in den Fällen ganz besonders an.
in denen der Patient zu geschwächt war. um einen aktiven Part in der
Therapie zu übernehmen.
 
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