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Maul, Stefan M.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 10, Teilband 1): Einleitung, Katalog und Textbearbeitungen — Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.57036#0117
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104

Bannlösung (nam-erim-bür-ru-da)

78 Du umgibst (das Grab) mit einem [Mehlkreis]. Du rezitierst (die Beschwörung) ''Beim Leben des Himmels sei
er beschworen" in Gänze. Du darfst nicht hinter dich blicken. Das ihm (d. h.: dem Patienten) anhaftende Unheil
wird (dann) gelöst sein.

Kolophon Wie die zugehörige Vorlage geschrieben und dann kollationiert. Tafel des Urad-Assur. des [.].
Sohn des Imbü. des Beschwörers. Sohn des [ ].
Kommentar:
1 Dem Format zahlreicher heilkundlicher Keilschrifttexte entsprechend beginnt dieses Skript mit einer ausführlichen
insgesamt neunzeiligen Symptombeschreibung (Z. 2-9a). die in eine zusammenfassende Beurteilung der Befunde
mündet (Z. 9b-12a). in der auch die wesentliche Krankheitsursache genannt ist. Sie wird in einer Schuld gesehen,
die Familienmitglieder des Erkrankten auf sich geladen haben. Eine recht ähnliche Einleitung findet sich auch
in Text Nr. 11. 1-6. in STT 254. Vs.! 1-2. in K 2535 +K 2598. 1-8 (S. M. Maul. Fs. Freydank. 186; siehe ferner
E. Ebeling. ZA 51. 167-179) sowie in den von T. Abuschin: T. Abusch. K. van der Toom (Hrsg.). Mesopotamian
magic. 94ff. zusammengestellten Texten (siehe dazu auch M. Stol. ebd.. 61-63). Vgl. außerdem Text Nr. 4-10,
1; Text Nr. 12, 1; Text Nr. 13. 1 und Text Nr. 14-15. 1-2. wo der Therapiebeschreibung jeweils eine kurze
Einleitung vorangestellt ist. in der mit wenigen Worten jene Symptome oder Krankheitsbilder aufgeführt sind,
die auf einen von den Göttern verhängten Bann zurückgeführt wurden.
Auch wenn der vorliegende Text keinen Zweifel daran läßt, daß die Ursache der hier beschriebenen Erkrankung
in dem Gotteszom liegt, den der betroffene Mensch auf sich gezogen hatte (siehe Z. 9-10). macht die erste
Zeile deutlich, daß aus der Sicht der Heiler der unmittelbare Auslöser der Beschwerden physischer Natur war.
Der zugrunde liegenden Vorstellung zufolge konnte nämlich die Bann-Krankheit nur dann in den Leib eines
Menschen gelangen, wenn dieser zuvor in Berührung mit einem mihru gekommen war (zu mihru siehe auch
Text Nr. 16-26. 63; Text Nr. 55-62. c+10 sowie E. Reiner. Surpu. 22. Tafel 3. 125 und ebd.. 24. Tafel 4. 8). Als
mihru (wörtlich: "Entgcgcnnchmung") bezeichnete man einen ‘Unheilsträger’ stofflicher Natur, über den durch
unmittelbaren Kontakt beabsichtigt oder unbeabsichtigt jene pathogenen Kräfte in den menschlichen Körper
gelangten, welche das Leiden letztlich bewirkten.
Die Vorstellung davon, auf welchem Wege man sich die Bann-Krankheit zuziehen konnte, unterscheidet sich
im Grunde genommen nur wenig von modernen Konzeptionen der Infektion durch Bakterien. Pilze. Parasiten
oder Viren und andere pathogene Moleküle (vgl. hierzu auch S. M. Maul. ZA 108. 177-180 sowie W. Färber,
in: H. F. J. Horstmanshoff. M. Stol (Hrsg.). Magic and rationality in Ancient Near Eastem and Graeco-Roman
medicine. Leiden/Boston 2004. 117-132; E. Couto. Historiae 4. 1-24 und P. Attinger. JMC 11-12. 45 und
63-64). Die altorientalischen Heiler hielten neben dem unmittelbaren Körperkontakt mit bereits Erkrankten (Text
Nr. 16-26. 59 und 63; Text Nr. 38-39. 11) namentlich auch indirekte Wege der Infektion mit dem Bann-Leiden
für möglich (Wie alt diese Vorstellung ist. zeigt eine frühaltbabylonische Beschwörung in sumerischer Sprache,
die A. R. George in CUSAS 32. 69-70 als Text Nr. 6r veröffentlichte). In dem hiervorgestellten Schrifttum gilt
dabei der Kontakt mit Tabuisiertem (Text Nr. 27-33. 83; Text Nr. 38-39. 10 ’-l 3 ’). mit schmutzigem, von Dritten
zum Waschen verwendeten Wasser (Text Nr. 16-26. 60) und weiteren Reinigungsmitteln (Text Nr. 38-39. 32)
sowie mit ausgekämmten Haaren und abgeschnittenen Fingernägeln (Text Nr. 16-26. 61) als ebenso gefährlich
wie die unbedachte Aufnahme von Getränken und Essen(sresten) (Text Nr. 27-33. 83; Text Nr. 38-39. 9-10
sowie 10’). das Berühren von benutztem Geschirr (Text Nr. 4-10. 69; Text Nr. 38-39. 15; vgl. Text Nr. 64.
30). der Kontakt mit dem Mobiliar (Text Nr. 4-10. 69; Text Nr. 38-39. 12-14; vgl. Text Nr. 64. 30) und selbst
mit den Fußspuren (Text Nr. 38-39. 16) von bereits Erkrankten. Auch die Selbstinfektion wurde für möglich
gehalten (siehe dazu den Kommentar zu Text Nr. 1-2. 22”—23”). Eine nachlässige Kleidung wie löchrige Schuhe
und nicht sachgerecht schließende Gürtel ist in dem Schrifttum der Heiler explizit als Grund für eine zustande
gekommene Infektion mit den ‘Erregern’ der Bann-Krankheit genannt (Text Nr. 16-26.62). die man besonders an
jenen öffentlichen Orten fürchtete, an denen viele Menschen zusammenkamen. Daher fand “der Bann’’, den man
sich auf "der Straße, der Gasse, an den (an den Außenwänden befindlichen) Kultnischen und den zugehörigen
Podesten’’ (Text Nr. 4-10. 13) zugezogen haben mochte, besondere Erwähnung.
In dem hier kommentierten, nam-erim-bür-ru-da genannten Heilverfahren versuchte man sich das Konzept
der ‘Infektion’ insofern zu Nutze zu machen, als man sich bemühte, die pathogenen Kräfte aus dem Patienten
zu ziehen und sie durch Kontakt auf ihren Urgrund, den personifizierten Bann, zurückzuführen, um in diesem
Sinne eine rückläufige Entwicklung von Infektion und Ausbruch der Erkrankung zu erzielen (hierzu vgl. auch
Text Nr. 4—10. 87. 93. 100; Text Nr. 27-33. 65 und Text Nr. 38-39. 29 mit dem Begriff mihirtu. der weitgehend
synonym zu dem Begriff mihru ist; vgl. ferner den Gebrauch von mahäru passim in den hiervorgelegten Texten).
Für den Verlauf der Bann-Krankheit galt es als unerheblich, ob der Kontakt mit den pathogenen, die Krankheit
auslösenden Kräften absichtlich von Dritten herbeigeführt worden war oder aber sich (zumindest aus unserer
Perspektive) gewissermaßen zufällig ergab. Denn inbeidenFällen erfüllte sich ein auf göttlichem Urteil fußender,
über dem Menschen stehender Wille. Aus diesem Grund ist in den Skripten, die das Bannlösungsverfahren zum
 
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