Metadaten

Frahm, Eckart; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 3): Historische und historisch-literarische Texte — Wiesbaden: Harrassowitz, 2009

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32131#0161
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
148

Historische und historisch-literarische Keilschrifttexte aus Assur

Eine für das korrekte Verständnis des Textes entscheidende Frage ist die nach der Identität seines königlichen Protagonisten.
Grundsätzlich sind drei Kandidaten ins Auge zu fassen: Isme-Dagän von Isin, der von 1953 bis 1935 v. Chr. regierte; Isme-Dagän
I., ein Sohn Samsl-Adads I., der zunächst als Vizekönig in Assur und Ekallätum und nach dem Tod seines Vater im Jahre 1776 v.
Chr. als König regierte; und der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts v. Chr. herrschende assyrische Regent Isme-Dagän II. (die
genannten Datiemngen folgen der sog. „mittleren Chronologie" und sind in Wirklichkeit vermutlich um einiges niedriger anzusetzen,
siehe J. Reade, JNES 60 (2001), 1-11).

Über die politischen und militärischen Aktivitäten Isme-Dagäns von Isin wissen wir wenig (siehe D. O. Edzard, Die zweite Zwischenzeit,
76-93, ders., RIA 5, 194f.). Von Interesse könnte jedoch sein, daß er als Kronprinz offenbar in Der residierte. Da der assyrische
König Ilu-summa, der vermutlich ein Zeitgenosse Isme-Dagäns von Isin war, berichtet, er habe eine sowohl Der wie auch Nippur
und weitere babylonische Städte umfassende „Lastenbefreiung" (anduräru) durchgeführt (A. K. Grayson, RIMA 1,32.2, Z. 49-65),
wäre zu erwägen, ob sich hier eine Verbindung mit dem assyrischen Lokalkolorit unseres Text herstellen läßt. Doch dies bleibt sehr
spekulativ und ist wohl eher unwahrscheinlich.

Bekannt ist Isme-Dagän von Isin vor allem durch zahlreiche zu seinem Preis verfaßte sumerische Hymnen sowie durch die zuletzt
von S. Tinney (The Nippur Lnment) bearbeitete, gleichfalls sumerische „Klage über die Zerstörung von Nippur". Letztere weiß zu
berichten, daß der König das durch einen amoritischen Stamm zerstörte Nippur samt seiner Tempel wieder aufgebaut habe. Hier
könnte es Bemhmngspunkte mit dem vorliegenden Text geben, der ebenfalls die Unterbrechung des Enlil-Kultes in Nippur (und
seine Wiederherstellung?) thematisiert. Man vergleiche etwaZ. 279 der Nippur-Klage (garza süh-a bir-a-bi si bf-in-sa „(Isme-
Dagän) richtete ihre in Chaos und Unordnung geratenen Riten wieder her") und Vs. 16’f. unseres Textes, wo Isme-Dagän dem Gott
verspricht: parsi usuräti sa mähazTka killale nusaklil „Wir wollen die Kultordnungen und Pläne deiner beiden Kultorte (wieder)
vollkommen machen" (vgl. auch Z. 13-15, 57 der Nippur-Klage). Auch die in Hymnen überlieferte Apostrophierung des Isin-Königs
als „Sohn Enlils" (siehe Tinney, Nippur Lament, 63f.) verdient Interesse, erinnert sie doch an das Nahverhältnis, das den König in
VAT 14418 mit Enlil verbindet. Rekurriert unser Text also, auf welchem Überlieferungsweg auch immer, auf die bislang nur in Gestalt
altbabylonischer Textvertreter greifbare sumerische Nippur-Klage oder andere Texte über Isme-Dagän von Isin?

Bei genauerer Prüfung spricht einiges gegen diese Vermutung. Akkadische Adaptionen sumerischer Städteklagen sind zwar nicht
völlig unbekannt (siehe z. B. N. Wasserman, Eretz Israel 27 (2003), 126-32 und E. von Weiher, SpTU 5,230), aber doch sehr selten.
Ein noch entscheidenderer Einwand ist, daß Isme-Dagän von Isin zwar enge Beziehungen zu Nippur unterhielt, seine Herrschaft jedoch
nicht nach Assyrien ausgriff, so daß nicht recht ersichtlich wäre, warum in einem von ihm handelnden Text so prominent von Assur die
Rede sein sollte und was die Assyrer dazu veranlaßt haben könnte, sich für den Isin-König zu interessieren. Nicht ganz ausgeschlossen
ist allerdings, daß ein urspmnglich auf Isme-Dagän von Isin Bezug nehmender Text in Assyrien zu einem unbestimmbaren Zeitpunkt
durch redaktionelle Eingriffe „assyrisiert" worden sein könnte.

Daß der Text von dem assyrischen König Isme-Dagän II., dem Sohn Samsl-Adads II., handelt, mutet sehr unwahrscheinlich an. Isme-
Dagän II. ist lediglich aus der assyrischen Königsliste bekannt, derzufolge er 16 Jahre lang regierte (siehe PNA 2/1,585, mit weiterer
Literatur). Er scheint - obwohl das Fehlen einschlägiger Quellen dies natürlich nicht beweist - zu unbedeutend gewesen zu sein, um
als Protagonist historisch-literarischer Texte der assyrischen Spätzeit in Frage zu kommen.

So gilt es zu erwägen, ob es Isme-Dagän I. sein könnte, der Sohn des berühmten Samsl-Adad I., der in unserem Text mit (Assur-)Enlil
konferiert. Obwohl bislang keine einzige Königsinschrift Isme-Dagäns I. gefunden wurde, liegen, insbesondere dank der reichhaltigen
Korrespondenz aus dem altbabylonischen Königspalast zu Mari und den Briefen aus Tell Shemshara, umfangreiche Informationen
über einzelne Karrierestationen dieses Mannes vor, die sich freilich aufgmnd ihres disparaten Charakters nicht ohne weiteres zu einem
kohärenten Bild zusammenfügen lassen. Eine den neuesten Forschungsstand bemcksichtigende „Biographie" Isme-Dagäns steht aus,
und da es im Rahmen dieses Bandes unmöglich ist, die zahlreichen Primärtexte zu diskutieren, die von seinen Aktivitäten berichten,
muß ich mich darauf beschränken, im folgenden eine lediglich an der z. Z. greifbaren neueren Sekundärliteratur orientierte knappe
Skizze seiner Laufbahn zu entwerfen. Die wichtigsten einschlägigen Beiträge sind: K. R. Veenhof, M.A.R.I. 4 (1985), 191-218, Sh.
Yamada,ZA 84 (1994), 11-37, D. Charpin-J.-M. Durand, M.A.R.I. 8 (1997), 367-91 ,L. Marti,FM 6 (2002), 541-44, N. Ziegler,FM
6 (2002), 211-74, dies., Iraq 66 (2004), 19-33 und vor allem D. Charpin - N. Ziegler, FM 5 (2003),passim.

Isme-Dagän scheint kurz nach der 1792 v. Chr. erfolgten Erobemng Maris durch seinen Vater Samsl-Adad von diesem als Vizekönig von
Ekallätum und Assur eingesetzt worden zu sein. Verantwortlich für die östlichen Tenitorien von Samsl-Adads obermesopotamischem
Reich, erwarb er sich insbesondere durch die Eroberung der Stadt Ninive und die Bezwingung des Königreiches von Nuruggüm im
Jahre 1781 v. Chr. bedeutende Verdienste als Heerführer. Wenig später jedoch, in den Jahren 1779 und 1778 v. Chr., sah er sich mit
Revolten der Tumkkäer konfrontiert, die er nur mit Mühe niederzuschlagen vermochte. Nach dem Tod Samsl-Adads im Jahre 1776 v.
Chr. wurde Isme-Dagän zu einem selbständigen Herrscher, der in den politischen Wirren der Zeit freilich unter immer stärkeren Druck
geriet. Gleich dreimal war er gezwungen, Ekallätum und Assur zu verlassen und in Babylonien Asyl zu suchen. 1772 v. Chr. floh er
vor einer Heeresmacht aus Esnunna, 1765 v. Chr. veranlaßte ihn die Attacke eines unbekannten Gegners zu neuerlicher Flucht, und
1763 v. Chr. zwangen ihn der Zusammenbruch eines fragilen Bündnisses mit Esnunna und das Scheitern seiner Bemühungen, seinen
Sohn Mut-Askur mit einer Tochter des Turukkäerkönigs Zazia zu verheiraten, ein drittes Mal im Süden Zuflucht zu nehmen, wo ihn
Hammurapi für einige Zeit zum Gouverneur von Tuttub gemacht zu haben scheint. Nachdem Hammurapi im Jahre 1762 v. Chr. Mari
und Ekallätum erobert hatte, kehrte Isme-Dagän nach Assyrien zurück und nahm dort als König von Hammurapis Gnaden erneut die
Staatsgeschäfte in die Hand. Wann er starb, ist unbekannt. Die Assyrische Königsliste schreibt ihm 40 Regiemngsjahre zu, doch die
Zuverlässigkeit dieser Zahl wird vielfach bezweifelt; außerdem ist unklar, ob sie auch seine Jahre als Vizekönig umfaßt. Nach Ausweis
der fragmentarischen Königsliste KAV 14 folgten Isme-Dagän sein Sohn Mut-Askur und ein gewisser Rimu[s] auf dem assyrischen
Königsthron nach. Nach einer Periode politischer Winen wurde die Dynastie Samsl-Adads schließlich von Puzur-Sm, der sie als
„fremdländisch" kiitisierte (RIMA 1,40.1001), abgelöst, erfreute sich jedoch wenige Jahrzehnte später schon wieder eines erheblichen
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften