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Einleitung

7

Drei Generationen von Beschwörern bauten die bedeutende
Sammlung von Namburbi-Tafeln auf. 45 Die ältesten, im ersten
Drittel des siebten vorchristlichen Jahrhunderts erstellten
Abschriften stammen von der Hand des Nabü-bessunu. 46 Sieben
weitere Tafeln können, da Kolophone erhalten blieben, Kisir-
Assur, dem Sohn und Nachfolger des Nabü-bessunu zugewiesen
werden, 47 während fünf andere als Schriftstücke zu erkennen
sind, die Kisir-Nabü, der Neffe Kisir-Assurs, geschrieben hat. 48
614 v. Chr., als Assur im Sturm der Meder fiel, hatte er die
höchste Stufe seiner Kaniere noch nicht emeicht. 49

Schon bevor Assurbanipal seine Namburbi-Serie
zusammenstellen ließ, wurden Löserituale in eine bestimmte
Folge gebracht und gemeinsam überliefert. 50 Denn
unter den Namburbi-Tafeln, die in dem sog. Haus des
Beschwörungspriesters entdeckt wurden, finden sich nicht nur
Sammeltafeln mit Beschreibungen mehrerer Rituale, 51 sondem
auch einige Tontafeln, in denen mit einer Stichzeile auf die
Folgetafel verwiesen ist. 52 Diese Tafeln dürften Abschriften

45 Vgl. den StammbaumderBeschwörerfamilie aus Assurin: S.M. Maul, Assur-
Forschungen, 203. Kolophone, die Einblicke in Datierung und Genese der
Sammlung von Löseritualen erlauben, haben sich auf insgesamt 22 Namburbi-
Tafeln aus dem sog. Haus des Beschwörungspriesters erhalten. Fünf der
Belege werden erstmals in dem vorliegenden Band vorgestellt (VAT 13607
= unten Text Nr. 7; VAT 14005 = unten Text Nr. 19; VAT 14046 = unten
Text Nr. 5; VAT 14187 = unten Text Nr. 4; VAT 14214 = unten Text Nr. 6).
Die weiteren 17 sind hier in der Reihenfolge aufgeführt, die O. Pedersen den
Texten in: Archives and Libraries, Part II, 41-76 (N4) gegeben hat: N4:91
= VAT 8960 = KAR 64 (BAK Nr. 193); N4:134 = VAT 8240 = KAR 38
(BAK Nr. 198); N4:151 = VAT 8262 = KAR 72 (BAK Nr. 215); N4:152
= A 170 = LKA 110 (BAK Nr. 208); N4:224 = A 185; N4:234 = A 171
= LKA 119 (BAK 203); N4:253 = A 235 = BAM 361; N4:286 = VAT 13952
= LKA 115 (BAK 202); N4:305 = VAT 13710 = LKA 113 (BAK 204);
N4:404 = VAT 13682 = BaF 18,546-547; N4:499 = VAT 13652 = LKA 109
(BAK 194); N4:504 = VAT 13604 = LKA 112 (BAK 215); N4:507
= VAT 13617 =LKA 114 (BAK 287); N4:511 = VAT 13625 = LKA 111;
N4:561 = VAT 13856 = LKA 122, LKA 121; N4:563 = VAT 13948
= LKA 118 (BAK 217); N4:627 = EHE 338 = V. Scheil, RA 18, 28 Text
Nr. 18 (BAK 195).

Sechs der Namburbi-Tafeln waren mit Sicherheit nicht mit einem Kolophon
versehen (N4:144 = A 168 = LKA 127; N4:149 = A 22 = BAM 318; N4:164
= A 164 = LKA 120; N4:181 = A 184 = BaF 18, 400ff„ Text A; N4:225
= Assur-Fundnr. 13955 ip; N4:251 = A 186 = BaF 18, 409ff„ Text A). Bei
fünf weiteren, kann nicht mehr sicher geklärt werden, ob sie einen Kolophon
enthielten oder nicht (VAT 14187 = unten Text Nr. 4; VAT 14046 = unten
Text Nr. 5 sowie: N4:253 = A 235 = BAM 361; N4:511 = VAT 13625
= LKA 111; N4:561 = VAT 13856 = LKA 122, LKA 121). Vgl. außerdem
N4:507 = VAT 13617 = LKA 114(BAK287;ohneNennungdes Schreibers).

46 VAT 14214 = unten Text Nr. 6 sowie: N4:91 = VAT 8960 = KAR 64
(BAK 193); N4:499 = VAT 13652 = LKA 109 (BAK 194); N4:627
= EHE 338 = V. Scheil, RA 18,28TextNr. 18 (BAK 195).

47 VAT 13607 = unten Text Nr. 7; VAT 14005 = unten Text Nr. 19 sowie:
N4:134 = VAT 8240 = KAR 38 (BAK 198); N4:224 = A 185 (siehe BaF 18,
445 mit Anm. 15 sowie R. Frankena, BiOr 17, 174); N4:234 = A 171
= LKA 119 (BAK 203); N4:286 = VAT 13952 = LKA 115 (BAK 202);
N4:305 = VAT 13710 = LKA 113 (BAK 204).

48 N4:151 = VAT 08262 = KAR 72 (BAK 215); N4:152 = A 170 = LKA 110
(BAK 208); N4:404 = VAT 13682 = BaF 18,546-547; N4:504 = VAT 13604
= LKA 112 (BAK 215); N4:563 = VAT 13948 =LKA 118 (BAK217).

49 Siehe S. M. Maul, Assur-Forschungen, 210f.

50 Siehe S. M. Maul, BaF 18,203ff.

51 Ebd„ 173-175.

52 Zum Beispiel in KAR 64 (BaF 18, 320 Text A, Rs. 22); LKA 112 (ebd„ 334
Text A, Rs. 15).

von hölzemen Wachstafeln sein, die ursprünglich zu Polyptycha
zusammengefügt waren. 53

Ein Drang der Beschwörer aus Assur, vollständige Sätze
solcher Tafeln ihr eigen nennen zu können, läßt sich dennoch
nicht beobachten. Vielmehr ist, wie uns die Tafelunterschriften
lehren, der weitaus größte Teil der Namburbi-Tafeln aus ganz
pragmatischen Gründen, oft „eilig“ (hantis), zur Aneignung
und zur Vorbereitung des entsprechenden Rituals, angefertigt
worden. 54 Die in den Kolophonen immer wieder betonte „Eile“
war wohl deshalb in vielen Fällen geboten, weil ein Patient, der
sich von unheilvollen Vorzeichen bedroht fühlte oder ein bereits
ausgebrochenes Leiden mit solchen Vorzeichen in Verbindung
brachte, auf die Ausrichtung eines Löserituals drang.

Mit der Aufgabe, ein Löseritual abzuschreiben, zu studieren
und wohl auch an dessen Durchführung mitzuwirken, wurden
bereits die jüngsten »Beschwörerlehrlinge« (samallü sehru)
betraut, 55 wohingegen ihnen die Beschäftigung mit Therapien
medizinischen Inhalts bis in das Erwachsenenalter vorenthalten
blieb. 56 Bei der Ausrichtung der Löserituale konnten sie wohl
doch nicht - anders als bei Behandlungen, die die Verabreichung
von Medikamenten vorschrieben - allzu großen Schaden
anrichten. Dennoch wurde, gerade bei den Jüngsten, um
folgenreiche Fehler bei der Durchführung eines Löserituals zu
vermeiden, peinlich darauf geachtet, daß die neu geschriebenen
Tafeln auf Fehler überprüft und genauestens mit der Vorlage
abgeglichen worden waren. 57 Manchmal war es ihr Mentor
selbst, der diese Aufgabe übemahm, um sicherzugehen, daß
er sich auf die Richtigkeit der Abschrift verlassen konnte. So
wies Kisir-Assur einen seiner Gehilfen an, die Abschrift einer
Namburbi-Tafel mit folgendem Vermerk zu versehen: „Wie
die zugehörige Vorlage geschrieben und kollationiert. Für die
Aneignung zwecks der Durchführung (des Rituals) ließ Kisir-
Assur, der Beschwörer, (die Tafel) schreiben und hat sie dann
kollationiert“. 58

Im Haushalt der Beschwörer aus Assur durfte in der Regel
aber selbst ein noch ganz junger »Beschwörerlehrling« im
Kolophon als den Besitzer der Tafel, die er abgeschrieben hatte,
seinen eigenen Namen nennen. 59 Da die angehenden Beschwörer
meistens dann neue Abschriften von Ritualskripten anfertigten,
wenn sie diese zur Vorbereitung einer Heilbehandlung
studierten, spiegelte im Lauf der Zeit der Bestand ihrer so
anwachsenden Tafelsammlungen bald ihr fachliches Können.

53 Dazu siehe S. M. Maul, BaF 18,160 und oben Anm. 29.

54 Siehe z. B. KAR 38 (BaF 428 Text A,Rs. 41), geschrieben von Kisir-Assur,
dem »Beschwörer des Assur-Tempels«: ana musepisüti hantis naslur,
LKA 110, Rs. 12f„ geschrieben von Kisir-Nabü: ana sabät epesi ... han\tis
issuha o.ä.]. Vgl. auch KAR 72, Rs. 20; VAT 14046 (unten Text Nr. 5), 14’
und VAT 14005 (unten Text Nr. 19), Rs. 8’.

55 Siehe VAT 14046 (unten Text Nr. 5), 13’; VAT 14005 (unten Text Nr. 19),
Rs. 6’; vgl. auch VAT 142414,Rs. 3’ (geschrieben von dem masmassu sehru
Nabü-bessunu).

56 Hierzu siehe S. M. Maul, Assur-Forschungen, 213.

57 Vgl. denpassim in den Kolophonen belegten Vermerk: klma labfrTsu satirma
bari. Auffälligerweise fehlt dieser Hinweis in manchen Texten, so z. B. in
KAR 38 (= BaF 18, 428 Text A, Rs. 41f.) und wohl auch in VAT 13607+
(unten Text Nr. 7, Rs. 7’f.).

58 S.M.Maul,BaF 18,503f„LKA 115,Rs.lO’-12’ (kfmalabfrfsusatirbari/ana
sabät epesi Kisir-Assur masmassu / usestirma ibri). Der ungenannte Gehilfe
war vielleicht Assur-säkin-sumi (vgl. dazu S. M. Maul, Assur-Forschungen,
216f. und ferner unten, Text Nr. 7,Rs. 7’ mit dem zugehörigen Kommentar).

59 So z. B. in der Tafel VAT 14005 (Löseritual; unten Text Nr. 19), Rs. 6’.
 
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