18 Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung
2. Das Christentum umfaßt alles, was, gegründet auf die Bibel, in Ostkirchen und
Westkirchen, in vielen Konfessionen, in liebestätigen, undogmatischen Quäkern und
in fanatischen Calvinisten, in Franz von Assisi und in dem im Namen Gottes als In-
quisitor mordenden Konrad von Marburg6 wirklich ist. Der geschichtliche christliche
Raum umfaßt das ganze Abendland und noch mehr.
Wir Abendländer alle sind Christen, weil in diesem Raum geprägt, durch die Her-
kunft in unserer Seele bewegt, in unseren Entschlüssen und Zielsetzungen bestimmt,
und mit Bildern und Vorstellungen erfüllt, die auf die Bibel zurückgehen. Man spricht
besser von biblischer Religion, die die Juden nicht weniger als die Christen aller Art
und noch in einem gewissen Sinne, wenn auch weiter ab liegend, den Islam umfaßt.
Dessen wird man sich bewußt, wenn man sich eine Weile in indische und chinesische
Geisteswelt vertieft, Abstand gewinnt und nun von fern her das Gemeinsame dieser
ganzen biblisch bestimmten Welt sieht.
3. In diesem Raum aber, der das Gemeinsame hat, auf die Bibel gegründet zu sein,
ist die Frage nach dem Wesen des Christentums nicht zu beantworten ohne die Ge-
waltsamkeit einer es für sich beanspruchenden Sondergruppe. Die meisten dieser Son-
dergruppen glauben, verkünden und vertreten nach ihrer Meinung die eigentliche un-
verfälschte Offenbarung.
Die Menschheit ist Zeuge eines Jahrhunderte währenden, immer unentschiede-
nen Kampfes um das wahre Christentum, eines oft, ja zumeist sehr »unchristlichen«
Kampfes. Juden und Christen stoßen sich ab und Christen untereinander. Vergeblich
nennen sich Kirchen katholisch (griechisch-katholisch, römisch-katholisch). Sie blei-
ben doch nur besondere Erscheinungen. Vergeblich trennen sich die Protestanten, um
allein auf das Bibelwort gegründet gemeinschaftlich die wahren Christen zu sein. Sie
spalten sich schnell in eine Menge von abweichenden Denominationen. Es gibt kein
gemeinsames Merkmal wahren Christentums, nicht einmal den Glauben an Jesus als
menschgewordenen Gott.
Das alles hat einen Grund darin, daß die Bibel der literarische Niederschlag der ein-
zigartigen religiösen Erfahrungen eines Jahrtausends ist, der seinen Abschluß fand im
ersten oder zweiten Jahrhundert nach Christus mit der endgültigen Fixierung des Ka-
nons. Die Bibel ist wie das Leben selber, unendlich vieldeutig, für jede Situation und
jede Position mit Texten bereit. Stets haben Gegner sich mit Bibeltexten rechtfertigen
können, gleichen Rechtes. Die Bibel selber verlangt Aneignung, Wahl, Abstoßung,
Deutung, Vergegenwärtigung, Verwandlung. Sie ist für den Gedanken kein fester Aus-
gangspunkt, sondern für die Existenz des Menschen die Kraft, ihn im Innersten zu be-
wegen, zum Ernst zu bringen, an das Äußerste, an die totale Infragestellung zu gelan-
15 gen, die Not des | Menschen nicht zu verschleiern. Vielmehr führt sie das redliche
Bewußtsein erst recht an den Abgrund, erweckt dann aber im Menschen die Möglich-
keit eines unbegreiflichen Vertrauens.
2. Das Christentum umfaßt alles, was, gegründet auf die Bibel, in Ostkirchen und
Westkirchen, in vielen Konfessionen, in liebestätigen, undogmatischen Quäkern und
in fanatischen Calvinisten, in Franz von Assisi und in dem im Namen Gottes als In-
quisitor mordenden Konrad von Marburg6 wirklich ist. Der geschichtliche christliche
Raum umfaßt das ganze Abendland und noch mehr.
Wir Abendländer alle sind Christen, weil in diesem Raum geprägt, durch die Her-
kunft in unserer Seele bewegt, in unseren Entschlüssen und Zielsetzungen bestimmt,
und mit Bildern und Vorstellungen erfüllt, die auf die Bibel zurückgehen. Man spricht
besser von biblischer Religion, die die Juden nicht weniger als die Christen aller Art
und noch in einem gewissen Sinne, wenn auch weiter ab liegend, den Islam umfaßt.
Dessen wird man sich bewußt, wenn man sich eine Weile in indische und chinesische
Geisteswelt vertieft, Abstand gewinnt und nun von fern her das Gemeinsame dieser
ganzen biblisch bestimmten Welt sieht.
3. In diesem Raum aber, der das Gemeinsame hat, auf die Bibel gegründet zu sein,
ist die Frage nach dem Wesen des Christentums nicht zu beantworten ohne die Ge-
waltsamkeit einer es für sich beanspruchenden Sondergruppe. Die meisten dieser Son-
dergruppen glauben, verkünden und vertreten nach ihrer Meinung die eigentliche un-
verfälschte Offenbarung.
Die Menschheit ist Zeuge eines Jahrhunderte währenden, immer unentschiede-
nen Kampfes um das wahre Christentum, eines oft, ja zumeist sehr »unchristlichen«
Kampfes. Juden und Christen stoßen sich ab und Christen untereinander. Vergeblich
nennen sich Kirchen katholisch (griechisch-katholisch, römisch-katholisch). Sie blei-
ben doch nur besondere Erscheinungen. Vergeblich trennen sich die Protestanten, um
allein auf das Bibelwort gegründet gemeinschaftlich die wahren Christen zu sein. Sie
spalten sich schnell in eine Menge von abweichenden Denominationen. Es gibt kein
gemeinsames Merkmal wahren Christentums, nicht einmal den Glauben an Jesus als
menschgewordenen Gott.
Das alles hat einen Grund darin, daß die Bibel der literarische Niederschlag der ein-
zigartigen religiösen Erfahrungen eines Jahrtausends ist, der seinen Abschluß fand im
ersten oder zweiten Jahrhundert nach Christus mit der endgültigen Fixierung des Ka-
nons. Die Bibel ist wie das Leben selber, unendlich vieldeutig, für jede Situation und
jede Position mit Texten bereit. Stets haben Gegner sich mit Bibeltexten rechtfertigen
können, gleichen Rechtes. Die Bibel selber verlangt Aneignung, Wahl, Abstoßung,
Deutung, Vergegenwärtigung, Verwandlung. Sie ist für den Gedanken kein fester Aus-
gangspunkt, sondern für die Existenz des Menschen die Kraft, ihn im Innersten zu be-
wegen, zum Ernst zu bringen, an das Äußerste, an die totale Infragestellung zu gelan-
15 gen, die Not des | Menschen nicht zu verschleiern. Vielmehr führt sie das redliche
Bewußtsein erst recht an den Abgrund, erweckt dann aber im Menschen die Möglich-
keit eines unbegreiflichen Vertrauens.