Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung
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im Hintergrund gebliebene und unbestimmte Gegensatz von Glauben und Wissen zu
dem einer Offenbarungswissenschaft vom Übervernünftigen (Theologie) und einer
Wissenschaft der menschlichen Vernunft (Philosophie). Aber der Gegensatz wird zu-
gleich in einer bequemen Weise überwunden. Wie das Reich der Natur überwölbt ist
vom Reich der Gnade, so das philosophische Erkennen vom theologischen Erkennen.
Ein endgültiger Widerspruch beider kann nie (denn beides kommt von Gott) und darf
daher nie auftreten. Die grundsätzliche Unterscheidung konnte aber nur gewonnen
werden durch Preisgabe des augustinischen Erkenntnisbegriffs. Das Denken ist nicht
mehr selber schon Erleuchtung durch Gott, sondern natürliche Verstandesarbeit. Das
Denken verliert den in ihm selber liegenden Glanz des Übersinnlichen und wird als
eigener Schöpfungsbereich, gleichsam als der richtige, gesunde, natürliche Menschen-
verstand anerkannt. Die Rettung der Theologie vor den sich gegen sie kehrenden Wi-
dersprüchen des Denkens geschieht um den Preis, dieses Denken selber zum bloßen
Verstand zu erniedrigen. Zwar wird dadurch die Rezeption der aristotelischen Welter-
kenntnis ermöglicht, aber in einer Stimmung der unphilosophischen Rationalität. Die
entwertende Freigabe hat zur Folge, daß Thomas in der Theologie faktisch philosophi-
sche Methoden anwendet, und daß die Theologie dieselben Gegenstände wie die Phi-
losophie hat (mit Ausnahme der Mysterien der Offenbarung und der Sakramente), aber
diese Gegenstände nun in Beziehung auf die im Lichte der durch Offenbarung gege-
benen höheren Prinzipien betrachtet.
Durch Thomas ist die Theologie als kirchliche Wissenschaft auf dem Boden der Of-
fenbarung im Gegensatz zur Philosophie als menschlicher Wissenschaft auf dem Bo-
den von Sinneswahrnehmung und Verstandesdenken konstituiert. In der Folge wird
dann Theologie zur allgemeinen Bezeichnung der kirchlichen Wissenschaft.
Die scheinbar so klare thomistische Scheidung und Verbindung von Theologie und
Philosophie erwies sich als trügerisch. Es gab keine Ruhe. Das Denken und das welt-
liche Erkennen brandeten unablässig gegen den Fels kirchlichen Denkens und unter-
höhlten ihn. Ein neuer Rettungsversuch trat auf mit der Lehre von der doppelten
Wahrheit: Vernunft und Glaube haben keine Beziehung zueinander. Sie haben beide
in ihrem Felde recht. Sie können sich widersprechen, aber das ist gleich|gültig, da die
eine Wahrheit im Bereich der anderen keine Geltung beansprucht. Praktisch hat die
Lehre von der doppelten Wahrheit, klar betont oder unklar verschleiert, in den folgen-
den Jahrhunderten bis heute eine große Rolle gespielt. Sie ist nur ein Moment in dem
großen Gegensatz von Gottesreich und Welt, von Christentum und Kultur.
Die schöne, harmonische Ordnung des Thomas bestätigte die Welt und alle ihre
Bereiche, dachte ihre Maße und Grenzen, ließ sie strahlen in dem Glanze ihres Ge-
schaffenseins. Sie ließ die Welt frei in jedem zu ihr gehörenden positiven Sinn und
hielt sie unter Führung des durch die Kirche sprechenden Gottes, der die Welt gut ge-
schaffen und außerdem sich selbst direkt offenbart hat. Nun konnten, scheinbar ohne
Widerspruch, Gott und Welt, Offenbarung und Vernunft, gebunden in ihre Rangord-
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im Hintergrund gebliebene und unbestimmte Gegensatz von Glauben und Wissen zu
dem einer Offenbarungswissenschaft vom Übervernünftigen (Theologie) und einer
Wissenschaft der menschlichen Vernunft (Philosophie). Aber der Gegensatz wird zu-
gleich in einer bequemen Weise überwunden. Wie das Reich der Natur überwölbt ist
vom Reich der Gnade, so das philosophische Erkennen vom theologischen Erkennen.
Ein endgültiger Widerspruch beider kann nie (denn beides kommt von Gott) und darf
daher nie auftreten. Die grundsätzliche Unterscheidung konnte aber nur gewonnen
werden durch Preisgabe des augustinischen Erkenntnisbegriffs. Das Denken ist nicht
mehr selber schon Erleuchtung durch Gott, sondern natürliche Verstandesarbeit. Das
Denken verliert den in ihm selber liegenden Glanz des Übersinnlichen und wird als
eigener Schöpfungsbereich, gleichsam als der richtige, gesunde, natürliche Menschen-
verstand anerkannt. Die Rettung der Theologie vor den sich gegen sie kehrenden Wi-
dersprüchen des Denkens geschieht um den Preis, dieses Denken selber zum bloßen
Verstand zu erniedrigen. Zwar wird dadurch die Rezeption der aristotelischen Welter-
kenntnis ermöglicht, aber in einer Stimmung der unphilosophischen Rationalität. Die
entwertende Freigabe hat zur Folge, daß Thomas in der Theologie faktisch philosophi-
sche Methoden anwendet, und daß die Theologie dieselben Gegenstände wie die Phi-
losophie hat (mit Ausnahme der Mysterien der Offenbarung und der Sakramente), aber
diese Gegenstände nun in Beziehung auf die im Lichte der durch Offenbarung gege-
benen höheren Prinzipien betrachtet.
Durch Thomas ist die Theologie als kirchliche Wissenschaft auf dem Boden der Of-
fenbarung im Gegensatz zur Philosophie als menschlicher Wissenschaft auf dem Bo-
den von Sinneswahrnehmung und Verstandesdenken konstituiert. In der Folge wird
dann Theologie zur allgemeinen Bezeichnung der kirchlichen Wissenschaft.
Die scheinbar so klare thomistische Scheidung und Verbindung von Theologie und
Philosophie erwies sich als trügerisch. Es gab keine Ruhe. Das Denken und das welt-
liche Erkennen brandeten unablässig gegen den Fels kirchlichen Denkens und unter-
höhlten ihn. Ein neuer Rettungsversuch trat auf mit der Lehre von der doppelten
Wahrheit: Vernunft und Glaube haben keine Beziehung zueinander. Sie haben beide
in ihrem Felde recht. Sie können sich widersprechen, aber das ist gleich|gültig, da die
eine Wahrheit im Bereich der anderen keine Geltung beansprucht. Praktisch hat die
Lehre von der doppelten Wahrheit, klar betont oder unklar verschleiert, in den folgen-
den Jahrhunderten bis heute eine große Rolle gespielt. Sie ist nur ein Moment in dem
großen Gegensatz von Gottesreich und Welt, von Christentum und Kultur.
Die schöne, harmonische Ordnung des Thomas bestätigte die Welt und alle ihre
Bereiche, dachte ihre Maße und Grenzen, ließ sie strahlen in dem Glanze ihres Ge-
schaffenseins. Sie ließ die Welt frei in jedem zu ihr gehörenden positiven Sinn und
hielt sie unter Führung des durch die Kirche sprechenden Gottes, der die Welt gut ge-
schaffen und außerdem sich selbst direkt offenbart hat. Nun konnten, scheinbar ohne
Widerspruch, Gott und Welt, Offenbarung und Vernunft, gebunden in ihre Rangord-
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