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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0151
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Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

so unmöglich, wie daß Eisen Holz, zwei mal zwei fünf, Realität Gültigkeit, Sein Sol-
len ist usw.
Wohl aber ist es möglich, im Bewußtsein der Erscheinungshaftigkeit von allem,
was wir wissen, das Umgreifende alles Umgreifenden, das ganz Andere, durch das al-
les und wir selbst sind, sich in einer von uns hervorgebrachten Chiffer dadurch fühl-
bar zu machen, daß wir es als unbeschränkte Macht denken, wie manche es seit Petrus
Damiani getan haben: Gott hätte eine ganz andere Logik, ganz andere Naturordnun-
gen schaffen können; für ihn könne das, was uns absurd scheint, wahr sein, da alle
unsere Wahrheit Geschaffensein ist und nicht für Gott gilt; Gott sei an seine Schöp-
fung nicht gebunden, könne sie durchbrechen oder ins Nichts zurücksinken lassen.13
Solche Gedanken sind als Chiffern nicht ohne Kraft. Nur Existenz aus ihrer Situation
in der Welt kann sie als wahr hören oder vielmehr die andere Chiffer vorziehen: Was
zeitlos gültige logische Wahrheit ist, daran ist auch Gott gebunden; Gott kann seine
48 Schöpfung als die von ihm gewollte nicht durch seine Willkür ändern | oder durchbre-
chen wollen; denn er ist kein Tyrann, bindet sich an seinen eigenen Willen, täuscht
nicht, ist wahrhaftig.
Diese merkwürdigen Chiffern, die beide eine Personifikation Gottes voraussetzen,
sprechen mich wenig an. Wenn aber, dann noch eher die Chiffer des Petrus Damia-
ni - weil sie das Geheimnis vertieft und das Ungeheure nicht aus dem Blick läßt - als
die harmonisierende Chiffer, die auf eine falsche Weise beruhigt.
Nur mit den Chiffern von der Art des Petrus Damiani kann eine Inkarnation - dies
für jede menschliche Vergewisserung Absurde - als einer der Willkürakte Gottes, die
nicht nur unbegreiflich, sondern absurd bleiben - gedacht werden, aber immer nur als
eine Möglichkeit Gottes, nicht als eine Möglichkeit menschlicher Auffassung, auch
nicht im weitesten Rahmen der Selbst- und Seinsvergewisserung. Die Konsequenz ist,
daß diese Möglichkeit von einem Menschen nie realisiert werden kann. Daher bedeutet
die Anerkennung eines solchen Absurden die Anerkennung von etwas, das in jedem
Sinne von Wahrheit, der Menschen als Menschen möglich ist, nicht zugänglich ist. Das
aber hat zur Folge den blinden Gehorsam vor Einem, das faktisch in der Welt als mensch-
liche Weltrealität diesen absurden Anspruch als einen von Gott kommenden erhebt.
Dagegen wendet sich entscheidend nicht eine beschränkte Aufklärung, die Gott
aus dem Spiel läßt und die Welt als das Absolute aus sich selber erklärt, auch nicht jene
bequeme Lässigkeit, die zu wissen meint, was Gott nicht kann, sondern der philoso-
phische Glaube, der, durch die Erfahrung der Freiheit und des Gewissens erweckt, im
Gottesgedanken zum Grund dieser Wirklichkeit transzendiert. Dieser philosophische
Glaube meint Gott zu verraten, wenn er die Freiheit verrät. Die Verantwortung, das
Wagnis, der hochgemute Aufschwung in der Freiheit und ihre Last, der man entrin-
nen möchte, die Härte und die Aufgabe des uns als möglicher Existenz Gegebenen in
der Situation der Zeit, - dies alles wird dem Menschen hell, der sich seiner Lage aus der
Erfahrung seines Selbstseins vergewissert. Diesem allem aber entzieht er sich, wenn er
 
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