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Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung
ihm entweder die Offenbarung ohne Kirche, oder er wird Philosoph, der Offenbarung
für sich verleugnet, jedenfalls ihrer nicht gewiß ist. Offenbarung aber ohne Kirche ist
faktisch entweder nicht mehr gültig, oder sie wird der Anfang einer neuen Kirche. Kier-
kegaard mußte, als er die Kirche verleugnete, entweder die neue, wahre Kirche, nicht
als Reformator, sondern aus dem Ursprung als Apostel gründen, selbst unmittelbar
durch Offenbarung die Vollmacht erhalten (aber Kierkegaard wußte, daß ihm solche
Vollmacht nicht gegeben war, wohl aber die Vollmacht zur Redlichkeit und zum Aus-
sprechen der Forderung der Redlichkeit auf jede Gefahr hin),20 oder Kierkegaard muß-
te - vom kirchlichen Offenbarungsglauben wie von der ursprünglichen Offenbarung
her gesehen - in ein Nichts treten, das heißt aber faktisch: in die Philosophie.
6. Aneignung biblischen Glaubens in der Philosophie
Wenn die philosophische Gotteserfahrung Gehalte biblischen Glaubens sich zu eigen
macht, so muß sie die Form des Offenbartseins preisgeben.
Es ist zu unterscheiden: Die Offenbarung kennt keine Bedingungen; wenn Gott
selbst spricht, dann gibt es keine Instanz, die ihn unter Bedingungen stellen könnte;
es bleibt nur Gehorsam. Der OffenbarungsgZczube dagegen ist eine Realität unter Men-
schen; er steht unter Bedingungen.
90 | Im philosophischen Glauben ist es nicht nur möglich, sondern, wie mir scheint,
notwendig, den Sätzen Heinrich Barths zuzustimmen: »Welches Gebot der Wissen-
schaft oder irgendeiner Wahrheitsverpflichtung fordert von einem kritischen Denker,
der Erschließung der Wahrheit in dem Sinne Grenzen zu setzen, daß er die Möglich-
keiten der Erkenntnis und der >Erhellung< unserer Existenz auf Philosophie, Dichtung,
Weisheitslehre aller Art beschränkt, in Ausschluß derjenigen einzigartigen Möglich-
keit, die als >Offenbarung< ihre gnoseologische Auszeichnung erfahren hat? Welche
Vernunft, welche Strenge der Erkenntnis verbietet dem Philosophen, sich nicht nur
aus den Dokumenten der Philosophiegeschichte, der Weltliteratur, der Mystik, der
fernöstlichen Religionen seine Belehrung zu schöpfen, sondern auch aus der bibli-
schen Überlieferung, zumal er im Hinblick auf sie die Wahrnehmung macht, daß in
ihr die zentralen Probleme der Existenz mit unvergleichlichem Nachdruck zur Spra-
che kommen? Sache eines freien und offenen Geistes ist es, den Möglichkeiten des Lo-
gos keine willkürlichen Grenzen zu setzen und sich demzufolge für das Vernehmen
des >Wortes< offen zu halten, von welcher Ordnung und von welcher Provenienz es
immer sein mag«.i6°3
Nur ist hinzuzufügen: Sich offen halten bedeutet nicht schon Hören in Gehor-
sam.604 Es bedeutet Hören im Sinne des Zuhörens mit dem ganzen eigenen Wesen. Aber
ausbleiben kann die Weise des Hörens, die Gott selbst zu hören meint in einer Offen-
barung. Daß dieses Ausbleiben nicht selbstzufrieden werde, ist der Anspruch der offe-
Heinrich Barth, Theologische Zeitschrift Bd. 9 (1953) S. 114.
Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung
ihm entweder die Offenbarung ohne Kirche, oder er wird Philosoph, der Offenbarung
für sich verleugnet, jedenfalls ihrer nicht gewiß ist. Offenbarung aber ohne Kirche ist
faktisch entweder nicht mehr gültig, oder sie wird der Anfang einer neuen Kirche. Kier-
kegaard mußte, als er die Kirche verleugnete, entweder die neue, wahre Kirche, nicht
als Reformator, sondern aus dem Ursprung als Apostel gründen, selbst unmittelbar
durch Offenbarung die Vollmacht erhalten (aber Kierkegaard wußte, daß ihm solche
Vollmacht nicht gegeben war, wohl aber die Vollmacht zur Redlichkeit und zum Aus-
sprechen der Forderung der Redlichkeit auf jede Gefahr hin),20 oder Kierkegaard muß-
te - vom kirchlichen Offenbarungsglauben wie von der ursprünglichen Offenbarung
her gesehen - in ein Nichts treten, das heißt aber faktisch: in die Philosophie.
6. Aneignung biblischen Glaubens in der Philosophie
Wenn die philosophische Gotteserfahrung Gehalte biblischen Glaubens sich zu eigen
macht, so muß sie die Form des Offenbartseins preisgeben.
Es ist zu unterscheiden: Die Offenbarung kennt keine Bedingungen; wenn Gott
selbst spricht, dann gibt es keine Instanz, die ihn unter Bedingungen stellen könnte;
es bleibt nur Gehorsam. Der OffenbarungsgZczube dagegen ist eine Realität unter Men-
schen; er steht unter Bedingungen.
90 | Im philosophischen Glauben ist es nicht nur möglich, sondern, wie mir scheint,
notwendig, den Sätzen Heinrich Barths zuzustimmen: »Welches Gebot der Wissen-
schaft oder irgendeiner Wahrheitsverpflichtung fordert von einem kritischen Denker,
der Erschließung der Wahrheit in dem Sinne Grenzen zu setzen, daß er die Möglich-
keiten der Erkenntnis und der >Erhellung< unserer Existenz auf Philosophie, Dichtung,
Weisheitslehre aller Art beschränkt, in Ausschluß derjenigen einzigartigen Möglich-
keit, die als >Offenbarung< ihre gnoseologische Auszeichnung erfahren hat? Welche
Vernunft, welche Strenge der Erkenntnis verbietet dem Philosophen, sich nicht nur
aus den Dokumenten der Philosophiegeschichte, der Weltliteratur, der Mystik, der
fernöstlichen Religionen seine Belehrung zu schöpfen, sondern auch aus der bibli-
schen Überlieferung, zumal er im Hinblick auf sie die Wahrnehmung macht, daß in
ihr die zentralen Probleme der Existenz mit unvergleichlichem Nachdruck zur Spra-
che kommen? Sache eines freien und offenen Geistes ist es, den Möglichkeiten des Lo-
gos keine willkürlichen Grenzen zu setzen und sich demzufolge für das Vernehmen
des >Wortes< offen zu halten, von welcher Ordnung und von welcher Provenienz es
immer sein mag«.i6°3
Nur ist hinzuzufügen: Sich offen halten bedeutet nicht schon Hören in Gehor-
sam.604 Es bedeutet Hören im Sinne des Zuhörens mit dem ganzen eigenen Wesen. Aber
ausbleiben kann die Weise des Hörens, die Gott selbst zu hören meint in einer Offen-
barung. Daß dieses Ausbleiben nicht selbstzufrieden werde, ist der Anspruch der offe-
Heinrich Barth, Theologische Zeitschrift Bd. 9 (1953) S. 114.