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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0288
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung 187
Im Rahmen der Kategorien von essentia und existentia und des Allgemeinen und
des Individuums wird also dann eine falsche kategoriale Simplifikation gefunden,
wenn die Existenz ins Dasein, in die Willkür, in die Zustimmung zum Allgemeingülti-
gen gesetzt wird. Dann wird sie als sie selbst fallengelassen in das Nichts. Die Existenz
| selbst ist mehr. Sie kann mit Kategorien nie angemessen getroffen werden. Was »ich 120
bin« heißt, wenn darin mögliche Existenz (nicht nur Dasein) liegt, und was ihre Bezo-
genheit auf Transzendenz bedeutet, das spricht Dante aus' von der Seligkeit der Engel,
in denen kein Rest der möglichen, sondern nur wirkliche Existenz ist (für uns nur ein
Gleichnis): »In ihnen kann der Glanz Gottes rückglänzend sagen: ich bestehe (sub-
sisto).«125 Subsistere ist synonym mit existere. Der Satz will sagen: nicht »ich bin da«,
unbezüglich, sich selbst genügend, sondern das »ich bin« (subsisto), auf Transzendenz
bezüglich, trifft, was wir seit Kierkegaard Existenz nennen.
4) Die Existenz ist geschichtlich. Dasein und Geist sind geschichtlich als bloße Viel-
fachheit des endlos Besonderen im Werden durch Kausalitäten und Verstehbarkeiten,
die ins Unendliche, niemals abgeschlossen, erforschbar sind (objektiv historisch),
dann als für sich begründet durch ein Schon-vorher-sein in dieser Besonderheit des
Überkommenen in dieser Situation (subjektiv geschichtlich). Die Geschichtlichkeit
der Existenz aber ist das Übernehmen der Gestalt des Daseins, des Geistes, des Bewußt-
seins überhaupt, an die sie als diese gebunden ist. Existenz durchdringt das Dasein in
seiner Zufälligkeit, dieses zu mir Gehörende, das ich in seiner Objektivierung zugleich
erkennen kann (ins Unendliche). Bin ich aber existentiell in der Zeitlichkeit des Da-
seins, so bin ich zugleich darüber hinaus. Existenz im Kleid ihrer zeitlichen Verwirkli-
chung ist Geschichtlichkeit, die (im Unterschied von der objektiven und subjektiven
Geschichtlichkeit von Dasein und Geist) die Koinzidenz von Zeitlichkeit und Ewigkeit
ist. Im Unterschied von Geschichte als dem bloß Vergehenden mit der Kontinuität
und mit dem Abreißen von Überlieferungen ist Existenz das Zusichkommen des Selbst
in der Zeit als ein Gegenwärtigwerden von Ewigem.
5) Existenz ist nur in Kommunikation von Existenzen. Als sich isolierendes Fürsichsein
ist Selbstsein nicht mehr es selbst. Es kommt zu sich nur, wenn, in der Kommunika-
tion mit anderem Selbst, dieses zu sich kommt. Daher gehört zur Existenz die kämp-
fende Liebe. In ihr verzichtet der Mensch auf die bloße Selbstbehauptung, holt sich
aus jedem Zorn wieder heraus, bändigt den Stolz des Verletztseins. Denn in keiner sich
isolierenden Wahrheit ist noch Wahrheit.
6) Ich kann nicht durch Wissen, daß ich existiere, wirkliche Exi\stenz sein. Will ich es 121
wissen, so verschwinde ich als Existenz. Alles in bezug auf Existenz Gesagte, Getane,
Gestaltete bleibt indirekt. Das Indirekte ist nicht eine Veranstaltung, die ich unter-
nehme, sondern bleibt die unüberwindbare Indirektheit auch vor mir selbst. Nur im

Paradies 29,15.
 
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