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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0578
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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So spricht ein konventioneller Glaube, dessen Typus sich in seiner Wohlanständigkeit schwer
charakterisieren läßt: In der verwässernden Anpassung ist ihm das Pneuma verlorengegangen.
Er ladet jeden ein, dieser freundlich abgemilderten, psychologisch verstehenden, doch so zu-
gänglichen Offenbarungsauffassung zu folgen, um ein Christ ohne sonderliche Spannung sein
zu können. Zornig bis zu diffamierenden Reden aber wird er gegen den, der ihm in dieser sich
anpassenden Glaubensweise nicht nur nicht folgen, sondern mehr will: die Radikalität sei es
des Offenbarungsglaubens, sei es des philosophischen Glaubens und in beiden Fällen die Be-
zeugung des Ernstes des Gottesglaubens im Urteil über die konkret gegenwärtigen, menschli-
chen und politischen Dinge und im Handeln aus der Weite, mit der eigenen geschichtlichen
Existenz, in der schleierlosen Offenheit, die nur der Glaube ermöglicht.
| Zweiter Exkurs:
Vor kurzem kam mir ein Text von Karl Barth zu Gesicht (Dogmatik III, 4, Seite 549 ff., zweite
Auflage 1957).594 Ohne daß mein Name genannt wird, muß ich annehmen, daß jedenfalls auch
meine Schriften gemeint sind. Denn es gibt kein Kollektiv, das diese hier zitierten Ausdrücke
und Formulierungen gebraucht. Zwischen die im Folgenden kursiv abgedruckten Teilstücke des
Abschnitts füge ich einige Bemerkungen ein.
»Allzu oft-wird die Vokabel >Gott< ja nur als Deckname für die Grenze alles menschlichen Selbst- und
Weltverständnisses gebraucht. Allzu oft sagt man >Gott< und meint mit dieser Chiffer doch nur ein Et-
was, nämlich jene inhaltslose, unfruchtbare, im Grunde tief langweilige sogenannte >Transzendenz<,
die dann statt als echtes Gegenüber, als ganz und wahrhaft Anderes, als eigentliches Draußen und Drü-
ben viel besser als illusionärer Reflex der menschlichen Freiheit, als deren Projektion in einen leeren
Raum der Gegenstandslosigkeit interpretiert werden wird.«
Der Aufweis der Grenzen allen Wissens gelingt durch zwingende Erkenntnis. Diese ist gar nicht
einfach. Sie wird auch heute noch nicht von den meisten Menschen verläßlich gesucht. Daß die
»Vokabel« Gott als Deckname für diese Grenze gebraucht werde, hatte ich bisher nicht wahrge-
nommen. Der Agnostizismus der Positivisten ist gleichgültig gegen diese Grenze, die ihm nichts
anderes bedeutete als die Klarheit darüber, was man wissen und was man nicht wissen kann. Aber
diese Klarheit kann andere Folgen haben als jene Gleichgültigkeit. Sie kann, weil ein nie vollend-
bares und immer begrenztes Wissen sinnlos erscheint, zur Verzweiflung führen. Sie kann aber
auch zum Ort einer neuen Besinnung werden und gleichsam zum Sprungbrett dienen. Wohin
der Sprung geschieht, das wird aus anderem Ursprung als dem des zwingenden Wissens erfüllt.
Da Chiffer bei Barth nicht in Anführungszeichen steht, scheint auch er die »Vokabel Gott«
für eine Chiffer zu halten. Doch diese Vermutung wird kaum richtig sein. In jedem Fall ist der
entscheidende Vorwurf gegen meine Schriften, daß ich mit der Chiffer etwas Inhaltloses, Un-
fruchtbares meine. Dagegen läßt sich nichts sagen. So ist es für Barth, nicht für mich.
Richtig aber ist, daß wohl die Chiffer, aber nicht die Transzendenz ein »Gegenüber« ist. Denn
als ein Gegenüber, sei es als Gegenstand des Denkbarseins, sei es als Leibhaftigkeit für die Sinne,
ist sie einem Denken, in dem ich lebe, in der Tat verschwunden. Denn sie würde ganz verschlei-
ert sein in solchen Gegenständlichkeiten, ohne die sie für Barth tief langweilig ist. Für mich sind
die Chiffern schwebend, ständig neu zu befragen, darin aber die Sprache von der Wirklichkeit
der Transzendenz her, die die Wirklichkeit der Existenz trifft. Sie löschen nicht aus in eindeuti-
ger Unterwerfung unter eindeutige Offenbarungsakte.
Der Gedanke eines Gegenüber als »wahrhaft Anderes, als eigentliches Draußen und Drüben«
wirkt im philosophischen Denken, als ob es eine Blasphemie der Transzendenz sei.

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