Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0579
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
478

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

486 Barths Interpretation der Transzendenz »als illusionären Reflex der | menschlichen Freiheit,
als deren Projektion in einen leeren Raum der Gegenstandslosigkeit« bedient sich eines tradi-
tionellen psychologischen Geredes, jener »Psychologie«, die nicht zur realen Erkenntnis, son-
dern zum Diffamieren brauchbar ist.
»Dieser >Transzendenz< ist es durchaus wesentlich, daß sie dem Menschen gegenüber weder einen be-
stimmten Willen hat, noch ein bestimmtes Werk ausrichtet, noch ein bestimmtes Wort findet, noch
auch nur eine bestimmte Macht und Autorität hat.«
Das ist wohl richtig im Sinne der Offenbarung, wie Barth sie versteht. Aber solche Sätze neh-
men auch den Sinn von Chiffern unrechterweise fort. Wie diese als schwebende Chiffern eine
unersetzliche, wahre und wirksame Sprache sein können, das liegt in der Verantwortung der
Existenz in entscheidenden Augenblicken. Diese Sprache ist aber auch stets die Gefahr, durch
Realisierung der Chiffern vor der Aufgabe in der Situation, in die der Mensch gestellt ist, auszu-
weichen zu einem bequemen Bekenntnisglauben einer feststehenden Offenbarung.
»Sie kann ihn weder wirklich binden noch wirklich freimachen. Sie kann ihn weder rechtfertigen noch
kann sie ihm Genüge tun. Sie kann ihm weder klarer Sinn noch deutliches Ziel seines Lebens sein.«
Das ist richtig unter der Voraussetzung, daß das Verlangen des Menschen zur Beschränkung,
um darin sicher und geborgen zu sein, die große im Menschen vom Ursprung her gegebene
Möglichkeit nicht wirklich werden läßt: auf dem Weg, in Bindung und Freiheit, seinen Ernst zu
erfahren auf eigene Verantwortung - ferner unter der Voraussetzung, daß er ein Verlangen nach
Rechtfertigung hat (was weder notwendig noch zu fordern ist), oder danach, daß ihm Genüge
getan werde (was dem Menschen vielleicht nur um den Preis von Illusionen gestattet ist) und
daß er ein deutliches Ziel seines Lebens will (das dem Menschen immer nur partikular, nicht im
ganzen gegeben ist).
»Ihre Hohenpriester und Propheten werden vielmehr federn, der solches von ihr auszusagen sich un-
terstehen sollte, ganz mit Recht flugs ins Wort fallen mit der Belehrung, daß man von ihr höchstens
>mythologisierend< etwas Bestimmtes sagen, ihr Person und Gestalt, Handlungs- und Redefähigkeit
oder gar bestimmte Worte und Taten zuschreiben könne, und daß das darum am besten unterlassen
werde.«
Ihre Hohenpriester und Propheten? - ach, was für Benennungen werden uns zuteil! Darin
scheint mir kein Humor zu liegen, sondern ein Hohn, der aus theologischer Glaubensgewiß-
heit die Philosophie trifft. Zur Sache aber: Nicht die Unterlassung, sondern der Sinn der Aussa-
gen steht zur Frage. Die für den Menschen als endliches, sinnliches Vernunftwesen bleibende
Antinomie ist: er soll sich von Gott kein Bildnis und Gleichnis machen, und er kann doch nicht
umhin, es jeden Augenblick, in welchem sein Sinn sich zur Transzendenz wendet, zu tun. Es ist
unmöglich, dem Widerspruch zu entrinnen. Das zeigt sich schon im ersten Worte: Gott, Tran-
szendenz. Sagen wir »Gott«, so liegt im Wort wesentlich das uns Ergreifende. Sagen wir »Tran-
szendenz«, so liegt im Wort wesentlich das im Denken klar Werdende. Sage ich, Gott sei eine
4 87 Chiffer der Transzendenz, so wird eine | bestimmte Gestalt Gottes, eine persönliche, handelnde,
sprechende gemeint. Rede ich von Chiffern Gottes, so ist Gott selber mit der Transzendenz iden-
tisch gesetzt. Der logisch irritierende wechselnde Sprachgebrauch hört auf, irritierend zu sein,
wenn der Grundsinn all solchen Sprechens gegenwärtig ist. Nicht das Unterlassen der verbo-
tenen Aussagen, sondern im Verbotenen durch Aufhebung der eigentlich radikal verbotenen
Fixierung uns zu bewegen, ist die Aufgabe in der Situation des Menschen.
Im Kampf der Chiffern werden wir selbst beflügelt. Das Reich der Chiffern ist ein großes, nicht
zu erfindendes, sondern im Verhältnis von Existenz zur Transzendenz seit unvordenklichen Zei-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften