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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0644
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Philosophie und Offenbarungsglaube

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meine, anthropomorph ist in jedem Falle die Chiffer des persönlichen Gottes. Was
heißt da kräftig? Etwa physisch, leibhaftig, in dem Sinne, daß die Persönlichkeit Gottes
vom fernen Sinai im Sturme herkommt und hilft, oder psychisch-leibhaftig als wollen-
des, befehlendes, zorniges, sich erbarmendes, liebendes Wesen? Wenn Sie von Anthro-
pomorphie sprechen, würde ich die alte Chiffer heranziehen: Der Mensch denkt sich
selber theomorph - nach dem Bilde Gottes geschaffen. Das geschieht in der Chiffer,
die beides zugleich in sich trägt, notwendig anthropomorph und theomorph zugleich
ist. Ich habe in meinem Buch erörtert, daß die Chiffern | nicht diese Leibhaftigkeit ver- 67
langen, ja sie - wenn sie sich als wahre behaupten wollen - nicht ertragen. Daher wer-
den auch in der Überlieferung des christlichen philosophischen Denkens diese Leib-
haftigkeiten nicht selten, schon seit den Kirchenvätern, auch rückgängig gemacht.
Zahrnt
Damit die Transzendenz wirklich Transzendenz bleibe, also die Gottheit Gottes und
die Freiheit des Menschen nicht verletzt werde, scheuen Sie sogenannte feste Behaup-
tungen, konkrete Glaubensinhalte und Bekenntnisse. Hier wird Ihre Sprache um der
Sache willen scharf. Sie bezeichnen den konkreten Offenbarungsglauben als ein Sich-
Unterwerfen unter fremde Autoritäten und fürchten Herrschaft und Totalitarismus.
Daß es dies alles gegeben hat und sogar noch heute gibt, bekennt der wahrhaftige Of-
fenbarungsglaube unumwunden und voller Scham. Aber die Frage ist doch, ob es im-
mer so sein muß. Um nichts wird heute in der protestantischen Theologie so scharf
gekämpft wie darum, daß der Glaube wirklich Glaube bleibt, daß er nicht zu einem
Fürwahr|halten von unglaublichen Dingen entartet, sondern nichts ist als das 68
schlichte, einfältige, persönliche Vertrauen, zwar nicht zu einer Chiffer, aber zu einer
Person. Und ich meine, daß wir hier gar nicht so weit voneinander entfernt sind, wenn
ich etwa in Ihrem Buch folgenden Absatz lese:
Fragen wir von hierher nach der Aufrichtigkeit oder Wahrhaftigkeit in Glaubensbekennt-
nissen: Kant sieht die Möglichkeit der Aufrichtigkeit der Aussage als unbezweifelbar. Aber die
Frage ist: Kann der wahrhaft Glaubende, in der Aufrichtigkeit sich prüfend, noch behaupten,
er glaube dies oder jenes Sagbare. Gilt nicht vielmehr: Ich weiß nicht, ob ich glaube, wenn ich
aufrichtig bin. Was ich glaube, wird in meinem wirklichen Leben vorweg getan, bestätigt, ver-
standen und bleibt auch hier noch der absoluten Feststellung in der Aussage entzogen.
Es ist im Glauben wie im Handeln: Die innere Prüfung, die letzte Instanz selber ist noch
auf dem Wege, in der Zeitunvollendbar. Glaubend und handelnd muß ich mich in jedem we-
sentlichen Augenblick entscheiden, aber dennoch mich ins Unendliche in der Prüfung halten
(Seite 383).
| So kann auch der Offenbarungsglaube sprechen, obwohl er einen konkreten In- 69
halt bezeugt. Er ist seiner selbst nie sicher, sondern kann immer nur sagen: »Herr, ich
glaube, hilf meinem Unglauben.«684 Was aber die Formulierung von Glaubensbekennt-
 
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