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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0049
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XLVIII

Einleitung des Herausgebers

tarismus in Gang setzen, weil dem Adel des Menschen durch eine restriktive, experi-
mentelle Räume der Persönlichkeitsbildung verschließende Bildungsplanung gleich-
sam die Luft genommen werde und in der Folge große Persönlichkeiten als Träger und
Hüter der Universitätsidee ausblieben. Ein Verschwinden der geistigen und politischen
Aristokratie würde nach Jaspers’ Ansicht aber nicht nur die Universitätsidee, sondern
auch die Grundlagen einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaftsordnung ge-
fährden, weil er in deren Wirken die hierfür unerlässliche, kritische, Unwahrheiten
entlarvende und Wahrhaftigkeit fordernde Ausdrucksgestalt von Wahrheitssuche und
Freiheit erblickt.
Im Zusammenhang mit der politischen und militärischen Selbstbehauptung der
»freien Welt« gegenüber dem Totalitarismus schreibt Jaspers zur Verschulung der Uni-
versitäten: »An dieser Stelle ist durch die weltpolitische Lage heute die Aufgabe der
Universität zur gefahrvollen Spannung gelangt. Sie liegt darin: Zur Rettung der poli-
tischen Freiheit ist notwendig die Produktivität der Industrie und eine Wehrmacht,
die der ungeheuren, heute überlegenen Rüstung Rußlands [...] gewachsen ist; anderer-
seits aber wächst damit die Gefahr, daß industrielle Produktion und Wehrmacht auf
Wege gezwungen werden, die selber totalitäre Formen annehmen. Sie würden mit der
radikalen Verschulung der Universitätsausbildung beginnen.«219 Auch wenn Jaspers
hier von der universitären Bildung spricht, handelt es sich bei der Argumentation letzt-
lich um eine Verlängerung seiner Kritik an der schulischen Bildungsplanung. Die öko-
nomische wie militärische Effizienzsteigerung, die Jaspers durchaus notwendig er-
scheint, um die politische Freiheit220 zu behaupten, schlägt genau dann um in eine
Gefahr für die Persönlichkeitsbildung, wenn deren Grundlage, das technische Den-
ken, mit der Suggestion universaler Machbarkeit auftritt, alle Bereiche des menschli-
chen Lebens kolonialisiert und unter das Diktat gesellschaftlicher Nutzenerbringung
zwingt.221 Die Erziehung in Schule und Universität wird dann darauf reduziert, bloßes
Mittel für die »Herrichtung des Menschen zu einem brauchbaren Arbeitswerkzeug und
zur gehorsamen Funktion«222 zu sein. Insofern Jaspers in der Geistesaristokratie die
Grundbedingung einer freien, demokratischen Gesellschaft erblickt, deren Entste-
hung aber an die Gewährung der größtmöglichen Freiheit der Bildung und Lebens-
führung gebunden sieht, stellt ein im Dienste des Staatsapparates vorangetriebenes

219 Ebd., 248.
220 Unter »politischer Freiheit« versteht Jaspers allgemein »den Zustand der Gemeinschaft, in dem
die Freiheit aller Einzelnen die größte Chance hat« (»Über Gefahren und Chancen der Freiheit«,
345)-
221 In seinem Artikel »Wo stehen wir heute?« schreibt Jaspers im selben Jahr: »Das ist unsere geistige
Situation: daß das technische Zeitalter unsere Denkungsart selber hat technisch werden lassen.
Von den fabelhaften Leistungen im Bereiche des Machbaren geht die Suggestion aus: worauf es
eigentlich ankomme, sei auf eben solche Weise zu machen« (ebd., 44).
222 K. Jaspers: »Von den Grenzen pädagogischen Planens«, 217.
 
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