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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0091
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Die Idee der Universität [1923]

Sitzes an fixierten Begriffen, Methoden, Gesichtspunkten, Tatsachen eine unendliche
Bewegung des Erkennens erreichbar.
Das jederzeit Unfertige der Wissenschaft, die Überwindung jeder Einsicht durch
den Fortschritt der Erkenntnis hat den Prozeß des Erkennens wohl als einen endlosen
erscheinen lassen, dessen Sinn gerade darum fraglich ist, weil der Prozeß nie zur Voll-
endung kommt. Ein zielbewußtes Tun - das Forschen -, das sein Ziel notwendigerweise
nie erreicht, erschien als ein Schöpfen ins Faß der Danaiden.21 Um so mehr, als der ein-
zelne Forscher schon das Bewußtsein haben muß, in seinem Leben nicht nur nicht fer-
tig zu werden, sondern dem Sinne des Erkennens gemäß wünschen muß, daß seine Er-
gebnisse überholt werden. »Der Gelehrte« schreibt Kant, »wenn er bis dahin in der
Kultur vorgedrungen ist, um das Feld derselben selbst zu erweitern, wird durch den
Tod abgerufen, und seine Stelle nimmt der Abcschüler ein, der kurz vor seinem Lebens-
ende, nachdem er ebenso einen Schritt weiter getan hat, wiederum seinen Platz einem
anderen überläßt.«22 Der Gedanke an die Überholung durch spätere wird aber auch als
beglückend erfahren, z.B. wenn Taine23 sagt: »Die lebhafteste Freude eines arbeiten-
den Geistes besteht in dem Gedanken an die Arbeit, welche die anderen später machen
werden.«24 Alle Erfahrung zeigt den Enthusiasmus der Forscher - nur das bloße Tradie-
ren der Ergebnisse, das Tote des Scholastischen läßt die Menschen unter dem Wust des
endlosen Wissens leiden. In der Forschung ist die Idee gegenwärtig, die selbst nicht
Gegenstand der Forschung ist. Über die Freude am Können, am Entdecken, am Dahin-
terkommen hinaus erfährt der forschende Mensch die Gegenwart der Wahrheit, keim-
haft und in endlicher Gestalt, in Brechung durch die Relativitäten und unfertig. Es ist
in der Wissenschaft wie in allem Leben: im Endlichen ist das Unendliche gegenwär-
tig, sofern das Leben substantiell ist. Im Handeln gilt Hegels Satz: »Der Geist ist als
14 Wille dies, sich zum | Endlichen zu entschließen«,25 wobei dieses Endliche gerade in
aller Relativität die Erfüllung bringt, die allein in unserem zeitlichen Leben möglich
ist. Und wenn Wissenschaft und Kunst als endloser Progreß und als jeweilige Vollen-
dung scharf kontrastiert worden sind, so gilt diese Auffassung von der Kunst wohl
mehr vom Kunstgenießer als vom Schöpfer. Denn die schaffenden Künstler verhalten
sich nicht anders als die Forscher. Einige haben Freude an den vollendeten Werken,
einige können sich nie genug tun und erfahren jede Leistung als bloße Stufe. Auch in
der Welt der Wissenschaft gibt es die kontemplative Freude am Erreichten in ruhigem
Zusehen als dünne Entartungsform der im Enthusiasmus des Forschungsprozesses ge-
genwärtigen Idee.
In der Bewegung des Erkennens gibt es ein Pathos der »Richtigkeit«,26 ein Pathos der
»Fruchtbarkeit«27 und ein Pathos der »Wahrhaftigkeit« oder Objektivität.28 Alle drei ver-
eint treiben das Erkennen voran; einzeln isoliert machen sie es steril oder verderben
es, indem sie es unvermeidlich wieder in den Dienst nichtwissenschaftlicher Zwecke
stellen. Wenn man die gänzliche Widerspruchslosigkeit als Kriterium des wissen-
schaftlichen Wertes ansieht, so muß man auf Wissenschaft verzichten, denn die Skep-
 
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