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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0166
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Vom lebendigen Geist der Universität

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amten für das eigene Land zu erziehen. Der Humanismus wurde assimiliert, der Be-
trieb aber wurde eine neue, ärmer gewordene Scholastik. Melanchthon161 schrieb die
ersten Lehrbücher. Diese Universität wurde bald fast nur noch von Landeskindern be-
sucht, von denen der Staat verlangte, daß sie in ihm selber studierten. Die Atmosphäre
wurde trüb, der Horizont eng. Leibniz lehnte schon als Zwanzigjähriger ab, Professor
an einer solchen Universität zu werden.162
Im 18. Jahrhundert entwickelte sich die klassisch-humanistische Universität.163 Der
Student wurde freizügig. Er ging dahin, wo er die ihm wesentliche Lehrerpersönlich-
keit erwartete. Es entwickelte sich eine deutsche Bildungsschicht, von bürgerlichen
Menschen getragen, die ihren Halt in Fürsten und Adel hatte, - von Petersburg bis
Amsterdam, von Kopenhagen bis | Wien und Zürich. Wissenschaften und Philosophie 197
wurden eine gemeinsame Angelegenheit. Schließlich entwarfen Kant, Fichte, Schlei-
ermacher die Idee der Universität. Humboldt fand die praktischen Formulierungen
und verwirklichte, was geworden war, noch einmal bewußt in der Gründung der Uni-
versität Berlin.164 Die Freiheit von Forschung und Lehre bei den Dozenten, die Freiheit
des Lernens bei den Studenten war die Grundlage. Die Untrennbarkeit von Lehre und
Forschung bestimmte das Niveau. Ein staatsfreier Bezirk im Staate wurde zu eigenem
Leben geschützt. Die Wirklichkeit der Idee war zwar voller Spannungen. Aber der Ge-
gensatz von Philosophie und empirischer Forschung, der Philosophien gegeneinan-
der, hinderte nicht eine wissenschaftliche Gemeinschaft. Jeder trug das Bekämpfte als
Kraft und Wissen in sich selbst. Es wurden die Menschen gebildet, welche dann die Idee
in ihren Berufen zur Auswirkung brachten, als Pfarrer, Ärzte, Richter, Lehrer, Verwal-
tungsbeamte. Der Humanismus war Bildungsgrundlage. Aber das Entscheidende ent-
stand durch die Persönlichkeiten, denen die Institution nur den Raum schuf. Im öf-
fentlichen Leben spielte die Universität eine repräsentative Rolle. Das letzte Mal war
Schellings Amtsantritt in Berlin 1840 ein großes deutsches Ereignis, als ob im Denken
der Universität die großen Weltvorgänge entschieden würden.165 Bald wurde das an-
ders. Die Revolution 1848 war noch zu gutem Teil von Professoren getragen. Sie be-
stimmten den Rang des Frankfurter Parlaments. Aber diese politischen Verwirklichun-
gen waren schon Erscheinungen der Unklarheit der Universitäten. Gervinus166 brachte
die verhängnisvolle Lehre: Poesie und Philosophie seien gewesen, jetzt seien Politik
und praktische Realität an der Zeit.167 Die positivistische Wissen| schäft siegte. Die Auf- 198
lösung des Philosophierens in billige Bildungsphilosophie gab gegen sie dem naturwis-
senschaftlichen und historischen Forschen ein Ethos höherer Wahrhaftigkeit. Aber
darin triumphierte am Ende ein ideenloser Realismus. Die Verherrlichung Bismarcks
siegte gegen die wirklichkeitsfremde Professorenweisheit, eine preußisch gebundene
politische Geschichtsschreibung gegen die Weite Rankes und Burckhardts. Gleichzei-
tig aber stand abseits eine hellsehende ohnmächtige Kritik. Sie ist zerstreut in Äuße-
rungen mancher Schlimmes ahnenden Professoren, die aber nicht folgerichtig durch-
gedacht wurden. Die Kritik wurde konzentriert, unerbittlich und bis zur äußersten
 
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