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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0256
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Die Idee der Universität [1946] 181
wäre der äußerste Gegensatz zur Freiheit der eigenen Wahl - die im Geistigen immer
erhalten bleiben muß - erreicht. Es wäre etwas erreicht, das ebenso zwangsläufig wäre
wie die vererbten Begabungseigenschaften, aber unerträglicher, weil nicht vom ge-
heimnisvollen Schicksal, sondern von Menschen, und wahrscheinlich meistens von
nicht genügend legitimierten, abhängig. In Verbindung mit dem Urteil vertrauener-
weckender Persönlichkeiten wird die Anwendung experimenteller Prüfungen nur dort
mit zu Rate gezogen werden müssen, wo auf diesem Wege feststellbare Leistungsfähig-
keiten für den Beruf wesentlich sind, zu dem die Auslese zu vollziehen ist.
Auslese durch Zulassung schon in den früheren Stadien der höheren Bildung, die
jedenfalls heute noch nicht der gesamten Bevölkerung, sondern nur einer Minorität
zuteil werden kann, ist unumgänglich. Wenn man freie Bahn für jeden Tüchtigen for-
dert, so heißt das, man solle die Tüchtigen aus der gesamten Bevölkerung, nicht aber
nur aus einzelnen Schichten zu ihrem Recht kommen lassen. Es heißt zugleich, daß
nicht durch schlechte Prüfungsinstitutionen, welche vielleicht ganz spezifische Bega-
bungen voraussetzen, die Tüchtigen ausgeschaltet werden. Denn Institutionen, die Be-
dingungen schaffen, schaffen zugleich Hemmungen, und dies um so mehr, je weniger
für jedermann faßlich der eigentlich geistige Wert ist. Es könnte sein, daß Prüfbarkeit
nicht für jede Begabung besteht, daß es für alles Geistige eines Spielraums der subjekti-
ven freien Beweglichkeit bedarf, und daß jede Art von Institutionen, je zwangsläufiger
ihre Wirkung ist, desto mehr die Tendenz hat, das eigentlich Geistige auszuschalten.
Die Schlußexamina haben wieder einen doppelten Sinn. Entweder sind sie bloße Be-
stätigung des Erwerbs der | notwendigen Kenntnisse, die normalerweise nach Ablauf
der üblichen Studienjahre gewonnen sind, wobei dann nur sehr wenige, ganz unge-
eignete und faule endgültig durchfallen. Oder diese Examina bedeuten eine wirkliche
Auslese, d.h. von vielen Zugelassenen fällt eine große Anzahl durch, und zwar endgül-
tig, nur die Besten, eventuell eine vorher bestimmte Anzahl (numerus clausus) beste-
hen das Examen.
2. Von einer Persönlichkeit ausgehende Auslese kann schwer institutionell ge-
macht werden, weil nur wenige Menschen die zum Auswählen nötigen Qualitäten ha-
ben. Der Monarch, der seine Ratgeber wählt, der Lehrer, der seine nächsten Schüler
wählt, der Kurator einer Universität, der berufsmäßig die hervorragendsten Persön-
lichkeiten zu entdecken hätte, wären Beispiele. Die persönliche Auswahl ist die sicher-
ste und gerechteste, diejenige, welche die tiefstliegenden, nicht meßbar zu machen-
den Qualitäten trifft - wenn der seltene Fall einer Persönlichkeit da ist, die diese
eigentümliche, innerlich dienende Haltung hat, ohne eigenen Anspruch dem objek-
tiven Sinn für Niveau und Geistigkeit und für die vielen besonderen Fähigkeiten in sich
restlose Auswirkung zu geben. Jedoch fast immer wird dieser persönliche Faktor, der
an sich der objektivste wäre, durch fremde Motive verdrängt. Wenn die persönliche
Beurteilung von seifen Einzelner institutionell zu einer Sache vieler Amtsinhaber ge-
macht wird, so ist die Tendenz, daß die Auswahl die Mittelmäßigkeit trifft. Es sind im-

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