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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0257
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Die Idee der Universität [1946]

mer nur begnadete Einzelne gewesen, die einen sicheren Blick für die Substantialität
des Menschen hatten und daher wirklich auswählen konnten. Der Professor neigt
dazu, seine Schüler und Kreaturen zu bevorzugen, ihm selbst Überlegene, Geistigere
instinktiv nicht zur Geltung kommen zu lassen. Wenn andere, seltenere Professoren
sich dann diese Gefahren klar machen, selbst aber auswählen müssen, so neigen sie
wohl dazu, in umgekehrter Unsachlichkeit sich selbst zu bekämpfen, ihre Verehrun-
gen und Sympathien geradezu als Gegenmotive wirken zu lassen, diejenigen zu wäh-
len, die sie eigentlich nicht wollen, so daß die Auswahl wiederum ganz schlecht, ja un-
begreiflich wird. Schließlich - und das ist wohl heute das häufigste - wirken als Motive
zur Auswahl Bedürfnisfragen. Die Menschen werden im Grunde genommen nur als
Mittel angesehen. Jedes persönlich geformte Interesse, das die unvermeidliche Gestalt
106 des | geistigen Lebens ist, wird als unsachlich zur Seite geschoben, nicht zugunsten ei-
ner höheren Sache, sondern zugunsten handgreiflicher äußerlich faßlicher Merkmale
der Eignung für die Erfüllung eines Bedürfnisses.
Es ist gelegentlich ein Glücksfall, wenn, etwa in einer Klinik, der Chef in Wechsel-
wirkung mit Oberarzt und Ärzten, die sein Vertrauen gewonnen haben, eine undefi-
nierbare Kunst der Menschenwahl unmerklich verwirklicht. Dann kann ein Geist des
Hauses entstehen. Stillschweigend verschwinden die Taktlosen und Ungeeigneten,
dem Eigenen wird Spielraum gegeben. Es herrscht eine Stimmung des Anstandes und
der Verläßlichkeit. Glück und die Autorität eines Einzelnen vermögen so etwas zu
schaffen als den Raum geistig herrschender Bewegungen. Viel eher gelingt es, den Geist
einer Klinik zu schaffen als den einer ganzen Universität, eher den Geist eines Semi-
nars als den einer Fakultät.
Wer in die Lage kommt, persönlich eine Wahl treffen zu müssen, darf sich sagen: es
sind in erster Linie vorliegende Leistungen in innerer Vergegenwärtigung nach ihrem
Gehalt zu erspüren. Dann ist die Erfahrung in der Kommunikation wesentlich, die Dis-
kussionsweise. Beide Erfahrungen gelingen leicht bei solidarischer Geistesartung, aber
sie werden schwer und verlieren den zwingenden Charakter bei fremden, noch nicht
verstandenen geistigen Impulsen. Der Kontakt in der Sache, die Beschwingtheit in ge-
meinsamer Idee bleibt aus, aber vielleicht ist doch durch Vernunft von ferne zu hören,
daß dort etwas Wesentliches ist. Jedenfalls hat der Wählende sich aufzuschließen und
nicht sich bequem auf das Verwandte zu beschränken. Dabei ist die physiognomische
Anschauung bis zur graphologischen Erhellung nächst der Objektivität der geistigen
Leistung nicht zu vernachlässigen.
3. Eine dritte Möglichkeit der Auswahl wäre die Wahl durch Majorität durch eine
Gruppe, die ihren Lehrer wählt, oder die sich durch neue Glieder ergänzt. Diese Form
ist wiederum unvermeidlich für Korporationen. Das Wählen der eigenen Lehrer aber
(z.B. Wahl der Professoren durch Abstimmung seitens der Studenten) ist nicht notwen-
dig. Eigentlich kann nichts Gutes dabei herauskommen, wenn jemand den wählt, der
etwa im Examen über ihn zu Gericht sitzen wird. Man wird neigen, so zu wählen, daß
 
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