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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0269
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Die Idee der Universität [1946]

Wer allgemein das Recht der freien Meinungsäußerung für sich in Anspruch
nimmt, tut es als Staatsbürger vor dem Staat. Er kann aber nicht erwarten, darin auch
als Dozent von der Universität unterstützt zu werden. Der Universitätslehrer hat den
Anspruch, in jeder Veröffentlichung seiner aus dem Zusammenhang der Forschung in
Gestalt eines geistigen Werkes hervorgehenden Wahrheitserkenntnis von seiner Kor-
poration geschützt zu werden, nicht aber in zufälligen Redewendungen zu Tagesereig-
nissen, in politischen Augenblicksurteilen, in Artikeln für die Tagespresse.271 Er kann
hier durch seine Lehrfreiheit keinen Vorrang vor jedem anderen Staatsbürger bean-
spruchen. Lehrfreiheit heißt Freiheit für Leben und Werk in der geistigen Gestalt der
Gründlichkeit, Methodik und Systematik, heißt nicht Verantwortungsfreiheit in der
Stellungnahme zu Tagesfragen. Lehrfreiheit besteht unter der Bedingung, nicht durch
billige Meinungsäußerungen unter dann falschem Anspruch auf besondere Autorität
in Tageskämpfe einzugreifen. Dem Glied einer Universität legt gerade seine eigentli-
che Lehrfreiheit Beschränkungen auf in bezug auf beliebige Meinungsäußerungen.272
Es ist wohl eine alte Tradition, daß Professoren politisieren. Sie ist im ganzen nicht
rühmlich. Die großartigen Erscheinungen sind hier selten und nicht typisch. Die Göt-
tinger Sieben ließen sich vertreiben nicht wegen einer politischen Gesinnung, son-
dern weil ihre Religion ihnen den geforderten Eidbruch verwehrte. Max Weber war eine
einzige unnachahmliche Erscheinung. Seine politischen Äußerungen waren selber
Glieder eines großen geistigen Werks. Sie wurden von demokratischen Zeitgenossen
damals als »zu hoch« kritisiert: Max Weber könne nicht für Zeitungen schreiben. So-
krates hat in den Jahrzehnten des peloponnesischen Krieges bei den aufgewühlten Lei-
denschaften Athens nie zu aktuellen Fragen der Politik Stellung genommen (außer in
der Frage nach der Schlacht bei den Arginusen, als sein Amt Stellungnahme verlangte273
und er das ethische Prinzip in allem menschlichen Tun vertrat). Er ging auf seine Mit-
bürger fragend und prüfend zu, griff an die Wurzeln des Menschen und wurde dadurch
wohl unbequemer als irgendein Demagoge.
123 | In gegenwärtigen Aufgaben, in denen Sachkunde wissenschaftlicher Herkunft
eine Rolle spielt, hat der Forscher mit Recht das Wort. Von Gutachten zu medizini-
schen und technischen Fragen bis zu staatsrechtlichen Interpretationen kann er sein
Wissen zur Anwendung bringen. Er kann seine Forschungserfahrung methodisch in
einen gegenwärtigen konkreten Fall eindringen lassen, der aus irgendeinem Grunde
für Staat und Gesellschaft bedeutungsvoll ist. Jedoch wird die Form seiner Äußerung
nicht die der Aktivität, sondern die der Begründung sein. Es ist seine Aufgabe, an Tat-
sachen zu erinnern und klare Einsicht in einem sachlichen Gesamtzusammenhang
darzubieten. Er mag alles dieses einmal ungefragt tun, obgleich die ihm gemäße Form
die Antwort auf eine an ihn gerichtete Frage ist. Jedoch ist im gegenwärtig Aktuellen
jede Antwort in der Gefahr, außersachlichen Motiven zu erliegen. Die Frage pflegt
schon in Abhängigkeit von einem erwarteten Ziel zu bringen. Der kritische Forscher
wird nicht vergessen, wie nahe er bei öffentlicher Befragung in der Situation des Prie-
 
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