Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0275
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
200

Die Idee der Universität [1946]

der Freiheit der Habilitationen, dieses Grundpfeilers des akademischen Lebens. Die
Verbeamtung, zu Ende geführt, bedeutet die Gefahr des Absterbens freier Geistigkeit,
eigener Initiative, persönlichen Wagens.

130 | 4. Institutsmittel
Die notwendigen Forschungsmittel sind mit der Verwandlung und Ausweitung der
modernen Wissenschaften gewaltig an Umfang gewachsen. Ohne Mittel bedeuten-
den Ausmaßes sind viele Forschungen nicht möglich und sind ganze Wissenschaf-
ten nicht auf ihrer Höhe zu halten (Physik, Chemie, Astronomie, Archäologie usw.).
Wenn hier die Geldmittel fehlen, bleibt nur ein schmerzvoller Verzicht. Es bleiben
wohl immer noch geistige Möglichkeiten. Aber Haeckels169 Wort: die Höhe der wis-
senschaftlichen Leistungen pflege im umgekehrten Verhältnis zur Größe der Institute
zu stehen,170 ist in solcher Allgemeinheit nicht wahr. Wohl gibt es geistlose Unterneh-
mungen mit dem Aufwand von Millionen, Institute, die reiner Leerlauf sind. Jedoch
ist der Mangel an Mitteln niemals ohne Folge verhängnisvoller Lücken in der For-
schungsarbeit zu überwinden.
Mit dem Umfang investierter Geldmittel ist in Wissenschaften eine Kollektivarbeit
möglich geworden, die an Industriearbeit erinnert. Die zahlreichen Assistenten und
Laboranten einer wissenschaftlich organisierten Forschung wissen gar nicht mehr um
den Sinn, haben keinen Teil an der wirklichen Forschung, sondern sind Arbeiter, die
die ihnen gestellten Aufgaben zuverlässig, weil genau, erledigen. Damit geraten auch
viele Forscher selber in diesen Arbeitstypus. Diese Wissenschaften, an große Mittel ge-
bunden, provozieren durch ihnen gegebene Mittel eine Verwandlung des Wissen-
schaftsbetriebes, der die Wissenschaft selber entleeren kann. Wie immer bei mensch-
lichen Unternehmungen ist mit der Notwendigkeit die Gefahr verbunden. Die Lösung
des Problems in vorbildlicher Arbeit bringen immer nur einzelne Männer, denen es
gelingt, durch Forschungseinfälle und die Weise ihrer Verwirklichung den Geist einer
solchen industriellen Kollektivarbeit zu schaffen und die in ihr tätigen Menschen mit
ihm zu durchdringen.
Es wäre töricht, aus einer blinden Gleichheitsforderung sich gegen den Unter-
schied von Forscher und wissenschaftlichem Arbeiter zu empören. Die verläßliche Ar-
beit hat ihren eigenen ethischen Wert, aber der Forscher allein ist es, der dieser Arbeit
ihren Sinn gibt. Ein Beispiel: bei genetischen Untersuchungen kam es darauf an, mo-
natelang Zählungen von Chromosomenkoppelungen im Mikroskop zu machen. La-
131 borantinnen und ein | Assistent führten das durch. Alles war tadellos genau und zu-
verlässig. Eines Tages zeigten sich irgendwo außerordentliche Abweichungen von den
gewohnten Zahlen. Die Laborantin war besorgt, daß sie nachlässig gewesen sei. Der
Assistent beruhigte sie, sie brauche das gar nicht mitzuteilen, solche Störungen kämen
immer einmal vor und bedeuteten nichts. Die gewissenhafte Laborantin machte trotz-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften