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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0343
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

ten und Schulen, einst sein Glanz, heute noch hier und da nur von alten Leuten in
Deutschland, in Europa, in Amerika und überall in der Welt wehmütig und dank-
bar erinnert, werden bald vollends in Vergessenheit versinken. Dieser Prozeß scheint
für viele eine andere Gewißheit zu gewinnen, wenn sie mit Grauen zu sehen glau-
ben, dies alles gehöre zu einem umgreifenden Selbstzerstörungsprozeß der Mensch-
heit.
8 | Sie sehen die Massengesellschaft, die Unvereinbarkeit von freier und totaler Herr-
schaft, die heute alles bestimmende, alle lokalen Realitäten übergreifende Weltpolitik,
sie sehen die beiden Atommächte, die auch durch Größe ihres Erdraums und ihrer
wachsenden Menschenmassen überragen, sie sehen die Wandlung der Weltgeschichte
durch 600 Millionen Chinesen, die bald in das technische Zeitalter ganz hineinge-
langt sein werden. Das Ende, so denkt wohl mancher, ist entweder eine der totalen
Herrschaft sich fügende Menschheit ohne Menschen (die Atombombe wird in der Erd-
planung dieser Herrschaft vielleicht noch zur Ausrottung überzähliger, überflüssiger,
unerwünschter Menschenmassen in gezielter Anwendung ohne Gefahr für das Leben
auf der Erde im Ganzen zur Anwendung kommen). Oder Menschen fügen sich nicht
und im Kampf durch die Bomben wird der Untergang des Lebens auf der Erde das nicht
mehr ferne Ergebnis dieser merkwürdigen Geschichte sein, die vor wenigen Jahrtau-
senden erst begann und nur einen vergeblichen Zwischenaugenblick der unermeßli-
chen Erdgeschichte bedeutet.360 - Die Verwahrlosung der Universität ist dann nur ein
Moment in dem Ganzen dieses totalen Zerstörungsprozesses. Aber bleibt die Univer-
sität nicht der Ort, an dem, ihrer Idee entsprechend, dieses Schicksal wenigstens er-
blickt, untersucht, erkannt werden soll? Wo keine Hoffnung mehr ist, kann doch ge-
wußt werden.361
So sind die, wenn sie für endgültige Erkenntnis gehalten werden, lähmenden und
verführenden Gedanken. Sie müssen kritisch durchdacht werden. Dann wird zwin-
gend klar, daß es keinen wißbaren notwendigen Totalprozeß der Geschichte gibt. Un-
entrinnbar sind nur viele greifbare partikulare Entwicklungen, so für die Universität
der Fortschritt der Wissenschaften, des rationalen Wissens und Könnens, die Technik
mit ihren ambivalenten, im Ganzen nicht übersehbaren schließlichen Folgen, die An-
sprüche der Gesellschaft an Ausbildung von Massen, sei es zu geistig schöpferisch ge-
staltenden Menschen, sei es zu gelernten Arbeitern in immer mehr und schließlich al-
len Berufen.
An dieser Stelle ist durch die weltpolitische Lage heute die Aufgabe der Universi-
tät zur gefahrvollen Spannung gelangt. Sie liegt darin: Zur Rettung der politischen
9 Freiheit ist notwendig die Produktivität der Industrie und eine Wehrmacht, | die der
ungeheuren heute überlegenen Rüstung Rußlands (das heute Ostdeutschland, Un-
garn und die andern Satelliten durch brutale Militärgewalt knechtet)342 gewachsen
ist. Andererseits aber wächst damit die Gefahr, daß industrielle Produktion und
Wehrmacht auf Wege gezwungen werden, die selber totalitäre Formen annehmen.
 
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