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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0375
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

den Unterschied von wesentlich und unwesentlich, tief und oberflächlich, bedeutend
und unbedeutend, Ganzheit und Zerstreutheit. Sie sind das Umgreifende, das die Nähe
zur Sache bewirkt, Einfall und Entdeckung ermöglicht, dem Zufall Sinn gibt. Die Ver-
geblichkeit des Endlosen wird in den tiefen Zusammenhang des Unendlichen gebracht.
Voraussetzung sinnvoller Wissenschaft ist das Leben der Ideen im Forscher.
52 | Dies sind die Voraussetzungen in allen Wissenschaften. Dazu kommen in den ein-
zelnen Wissenschaften besondere Voraussetzungen. Zum Beispiel:
Der gläubige Theologe kennt Wunder und Offenbarung. Das sind Inhalte, die einem empirisch
wissenschaftlichen Erkennen unzugänglich, daher für dieses nichtexistent sind. Jedoch nur in
dem Versuch wissenschaftlichen Erklärens. Die »voraussetzungslose Wissenschaft mutet dem
Gläubigen nicht weniger - aber: auch nicht mehr - zu als das Anerkenntnis: daß, wenn der Her-
gang ohne jene übernatürlichen, für eine empirische Erklärung als ursächliche Momente aus-
scheidenden Eingriffe erklärt werden solle, er so, wie sie es versucht, erklärt werden müsse. Das
aber kann er, ohne seinem Glauben untreu zu werden« (Max Weber).219
Die Wissenschaft der Theologie denkt unter der Voraussetzung der Existenz jener Offenba-
rung. Sie spricht aus, was darin liegt und was daraus folgt. Sie entwickelt Denkformen, das Un-
aussprechliche aussagbar zu machen.
Sowohl jene weltliche Erklärung wie die theologische Deutung verfahren unter Voraussetzun-
gen. Wenn sie rein verfahren, schließen sie sich gegenseitig nicht aus. Beide sind Versuche des
Denkens, die mit Voraussetzungen arbeiten und sehen, wohin und wieweit sie damit kommen.
Wissenschaftlich bleiben beide, solange sie offen für das andere sind, oder solange sie selbst-
kritisch wissen, daß alles Erkennbarsein Sein im Sein, niemals das Sein ist.
Wenn wir von der Bindung aller Wissenschaft an Voraussetzungen wissen, so ist
es wichtig, zugleich zu klären, was nicht Voraussetzung ist, aber oft fälschlich als solche
gilt. Es ist nicht notwendige Voraussetzung der Wissenschaft, daß die Welt im ganzen er-
kennbar ist, oder daß die Erkenntnis das Sein selbst trifft, oder daß das Erkennen irgendwo
absolut ist in dem Sinne, daß es voraussetzungslose Wahrheit enthalte oder bringe. Das
Gegenteil von diesem allen zeigt sich der Besinnung auf die Grenzen des Wissens.
Nicht Voraussetzung ist weiter eine dogmatisch formulierte Weltanschauung.34 Im
Gegenteil: Wissenschaft ist nur, soweit eine solche Weltanschauung nicht als absolute
Voraussetzung wirksam ist, oder wenigstens nur soweit als Geltung darin erreicht wird,
53 welche unabhängig von jener Weltanschauung besteht, | oder sofern im Denken diese
ganze Weltanschauung nur als eine Hypothese dieser Denkversuche behandelt wird.
Alle Menschen, mögen sie wo immer glaubend stehen, können einmütig werden im
Wissenschaftlichen.
Angesichts des Lärms, mit dem seit Jahrzehnten die Voraussetzungslosigkeit der
Wissenschaften (welche von keinem kritischen Forscher behauptet wurde) bestritten
ist, ist es vielleicht gehörig, auf die Verführung zu weisen, die in der Weise, die Voraus-
setzungsbelastung der Wissenschaften zu betonen, liegt. Der Sinn geht hierbei allzu-
schnell von aller Wissenschaft fort auf jene Voraussetzungen, die nicht mehr jeweilige
 
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