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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0411
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

Die heute noch bestehenden Fakultäten stammen aus dem Mittelalter. Es waren die
oberen Fakultäten: die theologische, juristische, medizinische und als vierte, untere
Fakultät kamen die artes liberales250 hinzu (die heutige philosophische Fakultät), die
man zuerst studieren mußte, bevor man in eine der oberen Fakultäten eintrat.
Die drei oberen Fakultäten entsprechen drei Gebieten des menschlichen Daseins,
die geistig bestimmt und an Wissen gebunden sind. Diese drei Bereiche praktischen
Tuns sind: Das Leben inbezug auf Gott auf Grund der Offenbarung, das Leben in Ge-
meinschaft durch Staat und Recht, die Sorge für die leibliche Natur des Menschen. Das
Wissen für diese drei Aufgaben gewinnen und vermitteln die Theologie, die Jurispru-
denz, die Medizin. Diese bereiten vor die Berufe des Priesters, des Richters und Verwal-
tungsbeamten, des Arztes. Sie alle brauchen ein gemeinsames Grundwissen, das der ar-
tes liberales, der unteren Fakultät, der heutigen philosophischen Fakultät.
Theologie und Jurisprudenz und Medizin haben einen Zweck außerhalb der Wis-
senschaft: das ewige Heil der Seele, das bürgerliche Wohl als Glied der Gesellschaft,
das Leibeswohl (Kant).251 Damit haben sie einen Ursprung außerhalb der Wissenschaf-
ten. In ihnen treten Voraussetzungen auf, die nicht von wissenschaftlicher Eigenstän-
digkeit sind, vielmehr der Wissenschaft Gehalt geben, Aufgabe und Ziel setzen. In der
Theologie handelt es sich um die Offenbarung, die verstanden wird in der Geschichte
der heiligen Schriften, der Kirche, der Dogmen, und die als gegenwärtiger Glaubens-
los inhalt vergewissert wird. | In der Jurisprudenz handelt es sich um das positive Recht des
Staates, das, durch die Staatsmacht hervorgebracht und verwirklicht, logisch verstan-
den und in der Anwendung rational berechenbar gemacht wird. In der Medizin han-
delt es sich um die Gesundheit des Menschen, ihre Erhaltung, Förderung und Wieder-
herstellung auf Grund eines Wissens, das die Natur des Menschen begreift.
Jedesmal ist für das gesamte Tun dieser Fakultäten ein nicht wissenschaftlicher Bo-
den gegeben. Wissenschaft erhellt diesen Boden. Oder es gerät das Tun dieser Fakultä-
ten ins Bodenlose. Das ist an eigentümlichen Erscheinungen, die dann möglich wer-
den, beispielsweise zu sehen:
In der Theologie wird die Grenze des Übervernünftigen berührt, aber durch Ver-
nunft.
Der Boden der Offenbarung ist übervernünftig. Geht dieser Boden verloren, dann
bleibt eine existentielle Verfassung, die am Maßstab des Offenbarungsglaubens Un-
glaube ist. Soll der Glaube als vernünftiger Inhalt aus der Vernunft als solcher entwik-
kelt werden, hört Theologie auf und bleibt nur Philosophie. Mit seinem einzigartigen
geschichtlichen Grunde geht der Offenbarungsglaube zugrunde. Es bleibt dann kein
Anspruch auf eine Theologie, die durch Vernunft das Übervernünftige ins Unendli-
che zu verstehen sucht.399
Hört aber der Wille auf, den Boden der Offenbarung vernünftig zu vergegenwärtigen,
und wird er doch festgehalten, so erwächst eine Theologie aus der Leidenschaft für das
Absurde. Das sich Widersprechende soll wahr sein, der Glaubensinhalt durch Knechtung
 
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