Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0437
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
362

Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

Institutionen alles endgültig bestimmen, wäre das unmöglich. Würde die Organisa-
tion die vorgeschriebene Arbeit in einer Aufgliederung aller Zwecke zu spezialistischen
in einem gigantischen Gebilde der Arbeitsteilung bestimmen, so würde in dem, wenn
auch noch so bewegten, spannungsvollen Betrieb, der die Menschen verzehrt, doch
Erstarrung eintreten.259 Der Geist könnte nicht mehr existieren, der einzelne schöpfe-
rische Mensch seinen Weg nicht mehr finden.
Sehen wir von den großen Menschen ab, die die Härte des Daseins mehr als andere
zu spüren haben, die überall um ihre Existenz kämpfen, da diese in keine vorgefundene
Form paßt, von diesen Menschen, die »von je verlästert und verbrannt« wurden,59 so
bleibt doch für die anderen zum akademischen Leben berufenen Menschen etwas Ana-
loges. Bei allen Auslesemethoden muß sich der Auslesende bewußt bleiben, eine im
Grunde unlösbare Aufgabe erfüllen zu müssen. Indem man Unrecht vermeiden will,
führt man fast unumgänglich neues Unrecht ein. Der Auslesende soll die Scheu und
damit die Offenheit für menschliches Wesen behalten. Wer durch seine Urteile an der
Auslese beteiligt ist, muß die Verantwortung fühlen, daß er nicht zur Hemmung werde
für die wenigen Besten und nicht zum Helfer des Durchschnittlichen und Unterge-
ordneten, des Streberhaften und Anspruchsvollen, des Scheinhaften und Unechten.
Aber trotz allem: die planmäßige Auslese ist in einem nicht endgültigen Umfange
soziologisch unerläßlich.
Es gibt folgende Arten der bewußten Auslese:
1. durch Examina,
2. durch persönliche Auswahl seitens einer übergeordneten
Persönlichkeit,
139 | 3. durch Wahl von unten seitens einer formal begrenzbaren Gruppe von Men-
schen.
1. Examina. Examina sind entweder Zulassungsprüfungen, die entscheiden, ob je-
mand für ein Studium qualifiziert ist, oder Schlußexamina, die dem Einzelnen nach er-
folgter Ausbildung die Erreichung des Zieles bestätigen.
Wenn es sich um eine Bevölkerungsmasse handelt, aus der nur eine kleine Anzahl
ausgelesen werden soll zur Ermöglichung des Besuchs einer höheren Schule und der
Universität, so hat für manche der Gedanke etwas Faszinierendes, daß man auf psycho-
logisch-experimentellem Wege (durch Tests) die Besten objektiv feststellen könne, die
Begabung erkennen könne bevor die Erziehung einsetzt, im voraus sagen könne, was
aus einem Menschen wird. Jedoch was läßt sich psychologisch prüfen? Vortrefflich die
Vorbedingungen der Intelligenz, innerhalb gewisser Grenzen auch die Intelligenz; die
Leistungsfähigkeiten und Werkzeuge, dagegen nicht Geist, nicht schöpferische Mög-
lichkeiten, nicht Wille und Opferbereitschaft. Würde eine solche Auslesemaschine
verwirklicht und würde dadurch entschieden, was aus einem Menschen werden soll,
so wäre der äußerste Gegensatz zur Freiheit der eigenen Wahl erreicht. Es wäre etwas
erreicht, das ebenso zwangsläufig wäre wie die angeborenen Begabungseigenschaften,
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften