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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0444
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

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sität wieder als nationale einen weiteren Horizont. Die Professoren und Studenten ka-
men nun aus dem gesamten deutschen Sprachgebiet, wenn auch die Verwaltung in
den Händen der Einzelstaaten blieb.
Die Gesellschaft wirkt auf den Geist der Universitäten auch direkt durch die staat-
liche Verwaltung. Die Abhängigkeit der Universität gegenüber dem Staat hört nie auf.
Nur in Höhepunkten des Staats- und Universitätslebens kann uneingeschränkt Hum-
boldts Wort gelten: »Der Staat muß sich immer bewußt bleiben, daß die Sache an sich
ohne ihn viel besser gehen würde.«262
Dem Staat gegenüber, dem die Universitäten zu Dank verpflichtet sind, haben sie
doch zugleich ihre Unabhängigkeit zu erkämpfen. Lehrfreiheit ist erst in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts wirklich errungen worden, hatte jedoch noch insofern eine
Grenze, als gewisse politische und weltanschauliche Gesinnungen zum Ausschluß aus
der Dozentenkarriere führten, und wird wieder in Frage gestellt, wenn paritätische Ver-
tretung von Weltanschauungen an der Universität gefordert wird,405 während die Idee
nur Erkenntnisleistungen - auf welchem weltanschaulichen Boden auch immer - be-
rücksichtigt. Bevorzugung gewisser Gesinnungen bei staatlichen Eingriffen ist die Ge-
fahr bei jeder Staatsverfassung, sie wirkte sich im monarchischen Deutschland aus und
noch im parlamentarischen. Sie geht bei jeder diktatorischen Regierung bis zur Ge-
waltsamkeit.
Unter den gesellschaftlichen und staatlichen Einwirkungen wird die Universität
umgeformt. Hinter der Mannigfaltigkeit der Gestalten steht aber die ewige Idee, die
hier Verwirklichung finden soll. Der Kampf zwischen dem philosophischen Geiste der
Wissenschaft und den wechselnden Anforderungen der Gesellschaft führt einmal zu
Konkretisierungen der Idee von geschichtlicher Einmaligkeit, dann wieder zum Un-
terliegen des Geistes. Daher wechseln in der Entwicklung der Universität Zeiten der
Öde und Zeiten des Blühens. Die Universität verliert sich in der Befriedigung der an
sie herantretenden Forderungen, so in der Verschulung, mit der sie dem Willen der
Durchschnittsmasse entgegenkommt.
| Wechselnd ist auch die Geltung, die die Universität in der Gesellschaft hat. Einen
Einfluß hatten die deutschen Universitäten auf den Geist der Nation in der ersten
Hälfte und noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ihre Leistungen nicht nur impo-
nierten, sondern auch die geistige Haltung mancher Professoren, aus der ihre Wissen-
schaft und ihr Leben kam, und in der die Nation sich selbst erkannte. Von der morali-
schen Tat der Göttinger Sieben,104 die ihre Existenz für Wahrhaftigkeit und Eidtreue
(nicht für Politik) opferten, fiel ein Glanz auf alle Universitätsprofessoren. Die an der
Universität geschaffene Philosophie von Kant bis Hegel prägte eine Zeitlang die ge-
samte Bildung und gab den akademischen Berufen überall Schwung. Arzt und Lehrer,
Beamter und Pfarrer waren sich des Sinns ihres Tuns gewiß und sahen ihr Leben in ei-
nem umfassenden Grundwissen. Die Geltung der Universitäten hat seitdem gewaltig
abgenommen, zum Teil weil überhaupt alle Geltungen geistiger Herkunft schwanden,

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